Beiträge getaggt mit Dark Ambient

Aus der Mottenkiste: Asmus Tietchens – Clones (1981)

Karg, karger, Asmus Tietchens! – was in Bezug auf die allermeisten Musikschaffenden ziemlich despektierlich geklungen hätte, darf in diesem speziellen Fall durchaus als Kompliment verstanden werden. Seines Zeichens autodidaktischer Klangtüftler, begann der aus Hamburg stammende Tietchens schon in den späten 60ern, inspiriert durch Musique concrète, Stockhausen sowie die frühe elektroakustische Avantgarde, mit ersten Tonbandexperimenten. Während es Horden von Generationsgenossen vornehmlich in die Arenen zu den Stones, Led Zeppelin und Konsorten zog, werkelte der Individualist weitgehend für sich an (bis auf seltene Ausnahmen) abweisend-kühler, atonaler Grenzmusik, in der nicht selten gespenstische Hohlräume zum Klingen gebracht werden.

Es wäre vielleicht bloß ein verstiegenes Hobby geblieben, wenn ihm nicht gewisse Entwicklungen des Zeitgeistes entgegengekommen wären: Progressiv freischwebendes Synth-Genudel aka ‚Kosmische Musik‘ als Alternativ-Pop-Phänomen der 70er; die aufkommende D.I.Y.-Kultur, welche Amateurmusikern schlagartig Independent-Vertriebswege eröffnete, und die Herausbildung einer international vernetzten Noise-/Industrial-Szene, die abseitigen Ästhetiken inzwischen ein Nischenpublikum verschafft hatte. Unter anderem brachte Nurse With Wounds Steven Stapleton auf seinem Label einige von Tietchens Werken unter. Der wiederum fügte sich mit herzigen Release-Titeln wie »Seuchengebiete«, »Abfleischung« oder »Aus Freude am Elend« überraschend gut in das morbid-lärmende Umfeld ein.

Ungeachtet dessen lässt sich Tietchens Vorgehen am ehesten als zugleich explorativ und isolationistisch bezeichnen. Gerade auch letzteres hört man der Musik an und darf gerne konsequent auf die Rezeption übertragen werden. Soll heißen, ein Stück wie »Clones« entfaltet seine Wirkung vor allem, wenn man es alleine in ungestörter Umgebung anhört. Bezeichnenderweise ist es auf »Musik aus der Grauzone« von 1981 zu finden – ein möglicher Hinweis darauf, dass sich sein Erzeuger zu dieser Zeit auf der Schwelle zwischen verfremdetem Konkretmaterial, dunklen Drones und vergleichsweise zugänglichen Synthesizer-Elementen bewegte.

Im Wesentlichen scheint das Soundkonstrukt auf einem dezent schnarrenden Tape-Loop zu basieren, durch den vereinzelte Andeutungen von Melodien flirren. Bei den verhallten Einschlägen mag man jedoch kaum von einem Beat sprechen, genauso wie ein wiederholt auftauchender verzerrter Schreilaut wohl nur Hartgesottenen als Hook durchgehen dürfte. Mehr braucht es allerdings nicht, in den richtigen Händen, um gepflegten Grusel auszulösen. Ein Umstand, der sich im Zusammenspiel mit der visuellen Montage (YouToube-Konto: Ivica Jordanovski) noch verstärkt. Ging es dem heimlichen – und wie man gleich hinzufügen sollte: unfreiwilligen – Dark Ambient-Pionier auch erklärtermaßen niemals darum, bestimmte Bilder oder Vorstellungen zu erwecken, die unheimliche Ausstrahlung von »Clones« ist ganz und gar manifest.

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Highlights 2016: Die besten Alben

Jetzt, wo sämtliche Jahresrückblicke längst vergessen und fragwürdige Awards bereits medienwirksam an die üblichen Verdächtigen verteilt worden sind, lasse auch ich mir eine persönliche Abrechnung mit 2K16 nicht nehmen, muss dazu aber leider ein wenig ausholen…

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Highlights 2015: Die besten Alben

Und schon wieder eine Bestenliste! Überall tauchen sie auf, besonders am Jahresende, von den kleinsten Blogs bis zu den reichweitenstärksten Magazinen, alle bombardieren sie die Welt mit ihren inflationären Rankings. Da reiht man sich doch nur zu gerne ein, jedoch durfte die folgende, durchaus wohl überlegte Auswahl immerhin mehr als einen Monat lang heranreifen, um sich nun drastisch verspätet, aber …nennen wir es mal…  einigermaßen vollendet zu präsentieren, sofern dies überhaupt möglich ist.

Beim Verfassen dieser Zeilen stellt sich ein gewisser Déjà-vu-Effekt ein, deswegen sei auf die Einleitung des letzten Jahres verwiesen und an dieser Stelle nur kurz angemerkt, dass es bei der schieren Menge an veröffentlichter Musik einfach unmöglich ist, ihr in irgendeiner Weise gerecht zu werden. Denjenigen, die das hier lesen, wurde die Qual der Wahl damit hoffentlich ein wenig aus der Hand genommen. Vielleicht sagt die Selektion der Titel aber auch mehr über die Person aus, die sie vorgenommen hat, als über das Musikjahr 2015 – wer weiß das schon?

Fest steht hingegen – um ein bisschen Pathos in die Sache zu bringen –, dass Musik eines der wenigen Bollwerke gegen die Unannehmlichkeiten der Existenz darstellt und gleichzeitig, sofern sie mehr als bloße Ablenkung sein möchte, trotzdem in jene Realität eingebunden, also nicht vom Leben abgekoppelt ist. Das einleitende Geschwafel beschließe ich also in der Überzeugung, dass die unten gelisteten Alben dies gerade bewerkstelligen, indem sie der faden Mittelmäßigkeit und Austauschbarkeit entsagen und zum Kern der Dinge hervordringen.

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Review: Leila Abdul-Rauf – Insomnia [2015]

Leila Abdul-Rauf - Insomnia (Malignant Antibody)| Erschienen bei Malignant Antibody / Bandcamp (2015) / Cover Artwork von Mark Thompson |

„Müde bin ich, geh‘ zur Ruh‘ / Schließe beide Äuglein zu“ – Wer schon einmal ernsthaft unter Schlaflosigkeit, Alpträumen oder anderen Störungen der körpereigenen Regenerationsmechanismen gelitten hat, der weiß, wie spöttisch so ein harmloser Kinderreim für Betroffene klingen kann. Sollte es sich wider Erwarten nicht um einen bloßen Zufall handeln, so darf man sich über die Schlafhygiene kalifornischer Musikerinnen dieser Tage durchaus Sorgen machen. Chelsa Wolfe zum Beispiel verarbeitete ihre zermarternden Schlafparalyse-Erfahrungen ausgiebig in ihrem im Sommer 2015 veröffentlichten Hype-Album »Abyss«, während bereits im März dieses Jahres – wohlgemerkt unter deutlich weniger medialer Aufmerksamkeit – Leila Abdul-Raufs einschlägig betiteltes Zweitwerk »Insomnia« erschien. Doch wo erstgenannte Singer-Songwriterin sämtliche Lo-Fi-Überbleibsel der Vergangenheit abgestreift und der Musikgemeinde nun ihre bislang durchschlagskräftigste Produktion beschert hat, kommen Abdul-Raufs Soundscapes dagegen erheblich ruhiger und introvertierter, aber ähnlich eindrucksvoll daher. Ein möglicher Grund für diese Zurückhaltung könnte in dem einfachen Umstand liegen, dass die Künstlerin aus San Francisco seit vielen Jahren an unterschiedlichen Projekten im Extreme Metal- und Industrial-Bereich aggressivere Seiten ausleben konnte, demgegenüber ihre entschleunigten Solo-Arbeiten einen wohltuenden Ausgleich zu bilden scheinen.

Ethereal-, Drone- und Ambient-Elemente finden sich darin zusammen, in eine vorgefertigte Genre-Schublade lässt sich die Musik aber nicht zwängen. Stilistisch wie ästhetisch knüpft »Insomnia« an das tolle Debütalbum »Cold And Cloud« (2013, erschienen bei Saadi Saati) an, unterscheidet sich von diesem allerdings in einigen Nuancen. Was nicht bedeutet, das hier nicht ebenfalls jene in sich gekehrte Betrübtheit ihren Platz gefunden hat, die schon den Vorgänger auszeichnete, jedoch sind die Stücke nicht nur trist und grau ausgefallen. Schillerndes Mondlicht hellt von Zeit zu Zeit die nachtschattige Schwer- und Wehmut auf und gibt den flächigen Tracks einen geheimnisvollen Schimmer. Eine allzu klischierte Gothik-Romantik darf man sich darunter nicht vorstellen; vielmehr mischt sich eine verschwommene, geisterhafte Schönheit unter die nebelverhangenen Texturen, denen sie auf diese Weise zu traumwandlerischem Glanz verhilft. Welchem Aspekt man das größere Gewicht zugestehen möchte, hängt im Wesentlichen von der individuellen Wirkung auf den jeweiligen Hörer ab. Die herrliche Winterlandschaft auf Mark Thompsons großartigem Cover Artwork erweist sich dabei als durchaus treffendes Abbild dieser unterschiedlichen Dimensionen: Unschwer lässt sich die Szenerie als Ausdruck von Einsamkeit und Verzweiflung lesen, manch einer wird der verschneiten Stille aber ebenso eine friedvolle Erhabenheit attestieren wollen.

Für das klanglich-atmosphärische Fundament aus zumeist langgezogenen Tönen kommen unter anderem effektverfremdete, gedämpfte E-Gitarren-Feedbackschleifen und verschiedene Elektronik zum Einsatz, seltener treten Klavier- und Violinklänge hinzu. Die entscheidenden emotionalen Akzente setzt die Multiinstrumentalistin jedoch mit ihrem aufwühlenden Trompetenspiel. Darüber hinaus macht sie in einigen Stücken von ihrer Stimme Gebrauch, die mal wortlos als reines Texturelement eingesetzt, mal für den Vortrag von Liedtexten verwendet wird. Nicht nur aufgrund des gläsernen Sirenengesangs fühlt man sich momentweise – um mal einen bekannten Namen einzuwerfen – ein bisschen an Grouper erinnert; diesen Vergleich darf man aber nicht überstrapazieren, dafür ist der stilistische Ansatz von Leila Abdul-Rauf viel zu eigenständig.

Die elf Tracks fügen sich somit zu einem kohäsiven Gesamtbild zusammen, das zwischen den unwirklichen Verzerrungen der Nacht und der grüblerischen Realität im Angesicht des Schlafentzuges oszilliert. Mit angemessen geisterstündlicher Spukstimmung um »Midnight« beginnend und in den »Dark Hours of Early Morning« sinister endend, lässt sich sogar ein narrativer Faden ausmachen, dazwischen scheinen reduzierte Einschübe wie »Clock Glows« oder »Seconds Tick« den Ablauf der Nacht wiederzugeben. Anders ausgedrückt, handelt es sich also weniger um ein ‚klassisches‘ Ambientwerk, das quasi im Endlosen zirkuliert, noch um eine Sammlung disparater Stücke. Zutreffender dagegen erscheint der beinahe unausweichliche Vergleich mit einem Soundtrack/Score – nur mit umgekehrter Hierarchie, weil die Musik einen imaginativen Film beim Hörer entstehen lässt. Zu den Highlights in der ersten Albumhälfte gehört auf jeden Fall das entrückt schillernde »The Opening«. Das klaviergestützte »Pull (feat. Kat Young)« wiederum ist von allen Tracks derjenige, welcher nicht nur wegen seiner klar vorgetragenen Vokalpassagen noch am ehesten an einen konventionellen Song erinnert, was die atmosphärischen Qualitäten jedoch kaum mindert. Die Verse hierfür hat übrigens Leila Abdul-Raufs Mutter eingesungen. Bei »He Sits in His Room« ist sie dann wieder selbst am Mic zu hören. Und natürlich an der Trompete. Selbige durchdringt die unbeschreibliche Klanglandschaft mit solch eindringlicher Melancholie, das eine Gänsehaut praktisch vorprogrammiert ist. Überwältigungspotential, das auch die direkt darauf folgende, ungemein dichte Instrumentalkomposition »Wane« auszureizen weiß. Großartig.

Wenn auch nicht jeder Track derart heraussticht wie die oben beschriebenen Exemplare, ist »Insomnia« eine ziemlich runde und nahezu makellose Angelegenheit. Manchmal unterschwellig, aber niemals einfach dahinplätschernd. Ein fabelhaftes Album, das selbstverständlich den großen Menschenmassen fremd bleiben wird. Nichtsdestotrotz ist dennoch zu hoffen, dass es über das Dasein eines bloßen Geheimtipps hinauskommen wird. Verdient wäre es allemal.

Tracklist:
01. Midnight
02. Drift 
03. The Opening 
04. Clock Glows
05. Pull (feat. Kat Young)
06. Seconds Tick
07. Edges Of A Mirror
08. Absence 
09. He Sits In His Room 
10. Wane 
11. Dark Hours of Early Morning

 

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Review: Theologian – Pain of the Saints [2015]

Theologican - Pain of the Saints (TumorCD76)| Erschienen bei Malignant Records (2015) |

Lee Bartow alias Theologican gehört zu den prägenden und vor allem ziemlich produktiven Kräften im Post-Industrial-Sektor der letzten Jahre. Obwohl die Diskographie seines gegenwärtigen Solo-Projekts 2009 ihren späten Anfang findet – in Nachfolge zu seinem Engagement als Mastermind der kurz zuvor aufgelösten Navicon Torture Technologies – hat der US-Amerikaner seitdem eine beachtliche Anzahl von Veröffentlichungen angehäuft. Mit »Pain of the Saints« legte Bartow nun sogar ein bis zum Bersten vollgepacktes Doppelalbum vor.

Schon der Titel und das stilvoll-blutige Cover-Artwork deuten auf die hier verfolgte ästhetische Zielrichtung hin. Davon abgesehen ist Theologian auch wahrlich kein Künstler, über den man im Formatradio oder in der TV-Werbung stolpern würde, und auf dem nächsten Kirchentag wird man seine Musik sicher nicht antreffen. Nähert man sich dem neuen Werk trotz aller Vorzeichen ganz unbedarft, dürfte man alsbald kalt erwischt werden. Besser gesagt, man hockt sogleich im Vorhof des Verderbens. Wenige Minuten sollten locker für die Feststellung reichen, dass man hier alles andere als leichte Feierabendkost vor sich hat. Der erste und mit über dreizehn Minuten zugleich längste Track »Savages« schickt einen früh in die akustische Unterwelt; gedämpft-verschwommenes Klopfen im Hintergrund, maschinelles Knattern und Schnarren, statisch-stechende Synthtöne, sinistres Rauschen und wiederholte schmerzverzerrte Laute vereinen sich zu einem ziemlich unfreundlichen Empfangskomitee. Wem dieser morbide Kosmos aus Mystik, Noise und Selbstzerfleischung eine (im Wortsinn) Heidenangst einjagt, ist gut beraten, hier den nächsten Ausgang zu nehmen. Für den geneigten Anhänger abgründig-atmosphärischer Musik hingegen gibt es Balsam für die Ohren.

Bartows Arbeit, angesiedelt in relativ wenig definierten Grenzbereichen zwischen Death Industrial, Dark Ambient und ähnlichen Subgenres, ist zum einen sehr facettenreich ausgefallen, aber bisweilen auch beachtlich komplex. Das virtuose ‚Layering‘ der vielen Soundschichten erweist sich als klarer Trumpf, Klangelemente sind spürbar mit viel Bedacht zusammengesetzt. Und auch wenn die insgesamt 20 Tracks stellenweise ohne jeden Zweifel harsch und mit der nötigen Kompromisslosigkeit daherkommen, geht die von Außenstehenden im Industrial so häufig vermisste Musikalität im Grunde doch nie verloren. Dennoch ist »Pain of the Saints«, alleine schon aufgrund der überbordenden Länge von mehr als 2 ½ Stunden, natürlich ein harter Brocken, der es wirklich in sich hat. Aber einer, in den man sich hervorragend versenken kann, dafür bieten sich genug Zwischentöne, Details und Ideen.

Der repetitive Power Electronics-Stampfer »Infection« gehört in dieser Hinsicht jedoch eher zu den weniger interessanteren Beiträgen. Auffälliger, und das nicht nur wegen des bedingt familienfreundlichen Titels, ist da schon »Piss and Jism«. Das setzt auf einen beharrlich grollenden Drone-Teppich und Vocals, die so verzerrt sind, das man beinah nur noch ein zischendes Spektrum wahrnimmt, sowie langgezogene Schreistimmen, die viel mehr organisch in die Textur eingearbeitet werden, anstatt eine gewöhnliche vokale ‚Funktion‘ einzunehmen. Ein grandioser Ausflug in spacige Sphären ist »Gravity« geworden, bei welchem sternschnuppenartige Tonmodulationen und schmetternde Riesenasteroiden-Klänge die Akzente im ruhigen, fast schon meditativen Wabern setzen. »Of Foulness And Faithfulness« sticht heraus, weil seine ratternde Fabrikkulisse ironischerweise so dumpf geraten ist, als wäre das Stück irgendwann in den frühen 80ern produziert worden. Eine in ihrer sturen Konsequenz und dichten Konstruktion geradezu faszinierend eindringliche Lärmwand. »Sainthood Is Suffering« ist deutlich Beat-orientierter als das restliche Material – das Ganze geht schon stärker in Richtung Electro-Industrial oder Rhythmic Noise -, manövriert sich aber im Verlauf in einen immer dichter werdenden Sturm aus gnadenlos übersteuerten Texturen und Melodie-Schemen.

»The Lies Of The Past Become The Prayers Of The Future« eröffnet die zweite Hälfte noch intensiver als »Savages« die erste, obgleich das Stück im direkten Vergleich deutlich kürzer angelegt ist. Die vielleicht plastischste Repräsentation des Albumkonzepts geht im Anschluss mit »Suppuration« vonstatten, da die eigentlich recht feierliche, erbauliche Stimmung hinterrücks mit qualvollen Lauten unterlegt ist und damit gewissermaßen verdeutlicht wird, dass Leid und Schmerz in der Religiosität des Christentums eine elementare Rolle spielen, was man als durchaus fragwürdig empfinden kann – entsprechend lässt sich dieses ‚Licht‘ auf der texturalen (nicht textlichen) Ebene als Scheinheiligkeit interpretieren. Momente wahrhaftiger Schönheit finden sich allerdings auch auf dem Album: Wie das traurige Violinenspiel in »Blessed Pray« die geheimnisumwobenen, schimmernden Flächen umgarnt und so eine magische Atmosphäre erzeugt, kann einem schon mal die Sprache verschlagen… Weniger Harmonien, dafür jedoch akustisches Waterboarding – im positiven Sinn – verspricht »Redemption Is An Impossibility«; ein einziger Spannungsaufbau, der sich steigert und steigert, sogar eine überraschend groovige Distortion-Bassline zulässt, und dann auf dem Fast-Höhepunkt ohne großen Knall wieder auseinanderfällt. »Self-Flagellation As Faith« bringt zum Schluss mit ritualistischem Getrommel und Frauengesang noch einmal andere Nuancen hinein und außerdem die Kasteiungen vom Anfang des Albums zurück.

Bleibt abschließend festzuhalten: »Pain of the Saints« ist in seiner ausufernden Ganzheit definitiv eine Herausforderung, die sich bei gründlicher Auseinandersetzung aber umso mehr bezahlt macht. Mag die zugrundeliegende Katholizismuskritik, welche Doppelmoral und Sadismus anprangert, manch einem vielleicht zu offensichtlich sein und nicht mehr ganz taufrisch erscheinen, sollte man sich trotzdem nicht abschrecken lassen. Denn Theologian hat ein Werk hingelegt, das durch stilistisches Abwechslungsreichtum, cleveres Verwischen von Subgenre-Codes und handwerkliche Sorgfalt über die volle Laufzeit überzeugen kann.

Tracklist:
1 – 01. Savages
1 – 02. Infection
1 – 03. Serpentine Angels
1 – 04. Piss And Jism
1 – 05. Gravity
1 – 06. Without Trust, Your Love Is Meaningless
1 – 07. Of Foulness And Faithfulness
1 – 08. Iron Pierces Flesh And Bone Alike
1 – 09. You Are The End Of The World
1 – 10. Sainthood Is Suffering
———
2 – 01. The Lies Of The Past Become The Prayers Of The Future
2 – 02. Suppuration
2 – 03. Witchfinder
2 – 04. Their Gelded And Rapacious Hearts
2 – 05. Deprivation
2 – 06. Blessed Prey
2 – 07. With Eternal Derision
2 – 08. Redemption Is An Impossibility
2 – 09. It Was You Who Taught Me Indifference
2 – 10. Self-Flagellation As Faith

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Highlights 2014: Top-Alben

Ganz ehrlich: Niemand mag frühe Jahresrückblicke, die einem schon Anfang Dezember allerorts aufgedrängt werden. Deswegen… na gut, auch wegen anderer Gründe, kommt mein Highlight-Ranking für 2014 auch später als alle anderen! Wie schon im letzten Jahr gilt natürlich auch diesmal das Credo: Vollständige oder objektive Bestenlisten gibt es nicht, sie bleiben stets Ausschnitte ohne Universalitätscharakter – eine persönliche Selektion nach individuellen Kriterien. Und trotzdem fiel es mir diesmal sogar schwer, eine für die eigenen Maßstäbe zufriedenstellende Rangliste zu kreieren.

2014 erschien mir in musikalischer Hinsicht nämlich in der Spitze sehr dicht gestaffelt, nur wenig hat sich daher wirklich für eine ‚Ehrung‘ aufgedrängt. Zwar gab es durchaus viele gute und sehr gute Alben, jedoch kaum besonders hervorstechende, brillante, mitreißende Werke, die meine subjektiven Knöpfchen zu drücken wussten. Oder lag es vielleicht an enttäuschten Erwartungen? Manche mit Vorfreude erwartete Alben gestandener Künstler konnten ihre Vorschusslorbeeren letztlich nicht ganz einlösen.

Beherrscht wurde das Jahr indes vor allem von Ambient- und Drone-Klängen, ätherisch-umwasserten Rock-/Pop-Formationen sowie ‚Hauntologen‘-Techno – es ist, als lege sich ein nebulöser Schleier um den Musikbetrieb unserer Zeit –, wohingegen viele bekannte Post-Rock-Bands solide Alben ohne größere Neuerungen nachlegten. Das Ranking haben diese Trends aber nicht unbedingt dominiert. Alles in allem war es ein knappes Rennen an der Spitze, mit vielen Anwärtern auf einen Startplatz, aber keinen echten Titelfavoriten. Nur eines kann ich vorab versprechen, Coldplay oder Kraftclub sind garantiert nicht darunter!

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Review: Oyaarss – Zemdega [2014]

oyaarss-zemdega| Erschienen bei Ad Noiseam (2014) |

Nicht eins, nicht zwei, sondern genau drei sind aller guten Dinge. Auf diese besondere Bedeutung weisen diverse Kulturen, Mythologien, Religionen, Märchen u.a. seit Jahrhunderten hin. Schon Aristoteles schwor auf die spezielle Vollkommenheit, im Christentum spricht man etwa von der ‚heiligen Dreifaltigkeit‘ und selbst beim Fußball erhält die siegreiche Mannschaft drei Punkte. Schenkt man all der Zahlensymbolik und Folklore Glauben, hat Oyaarss mit »Zemdega« nun diese ‚magische‘ Balance in seinem Werk hergestellt. Doch was war bis hierher eigentlich geschehen?

Praktisch aus dem Nichts legte der Musiker aus Lettland 2012 auf Ad Noiseam zwei absolut unglaubliche Alben vor, die so unvermittelt und gewaltig einschlugen, wie ein verdeckter Fausthieb in die Magengrube. Dabei ist Arvīds Laivinieks außerhalb seiner Heimat ein nahezu unbeschriebenes Blatt gewesen, dessen frühe Soundcloud-/MySpace-Uploads ohne eigenes Mitwissen im Netz inoffiziell herumgereicht wurden. Mit »Smaida Greizi Nākamība« und »Bads« verblüffte er dann innerhalb weniger Monate mit seinem über alle Maßen kompromisslosen Sound, der so anders, so kreativ, so heftig hirnpenetrierend, genresprengend und unverwechselbar ausgefallen ist, dass man gar nicht anders konnte, als mit heruntergeklappter Kinnlade zurückzubleiben. Ein dystopisches, höchst immersives Gewitter aus den finstersten Ecken des Baltikums brach über den Hörer hinein: dunkel, tonnenschwer und geheimnisvoll; hässlich, deprimierend und schön im gleichen Maße. Gewöhnliche Kategorien schaffen hier keine Abhilfe mehr, nein, nicht weniger als das Tor zu einer unentdeckten musikalischen (Unter)Welt wurde aufgestoßen.

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die Erwartungshaltung des Rezensenten in Hinblick auf das aktuelle Release beinah zwangsläufig ins quasi Unermessliche angewachsen ist, zu prägend sind die bisherigen Eindrücke noch im Kopf verankert. Damit hat »Zemdega« unweigerlich einen schweren Stand: Orientiert es sich zu sehr an seinen Vorgängern, ist es nicht mehr originell, entfernt es sich zu stark von ihnen, droht ebenso die Gefahr der Enttäuschung. Die hohe Kunst besteht darin, ein Gleichgewicht zwischen diesen Polen zu finden. Tatsächlich macht seine 2014er-Veröffentlichung nicht einfach nur das Dreigespann vollständig, sondern schlägt gleichzeitig ein neues Kapitel auf. Paradoxerweise kann sich »Zemdega« dem Sequel-Dilemma trotzdem oder sogar genau deswegen nicht gänzlich entziehen – auch wenn es sicher übertrieben ist, hier von einem ‚Dämpfer‘ zu sprechen. Auf der einen Seite erscheint sein musikalischer Ansatz dank der eigenen Verdienste auf diesem Gebiet logischerweise nicht mehr ganz so überraschend, radikal und innovativ wie noch vor zwei Jahren, das kann man dem aufstrebenden Künstler aber nicht wirklich zum Vorwurf machen. Andererseits folgt seine unkonventionelle Musik diesmal jedoch anderen Dynamiken und Gesetzen, an die man sich erst gewöhnen muss.

Um zu verstehen, was sich verändert hat, lohnt sich zunächst einmal ein Blick auf die Gemeinsamkeiten: Der Output des Wahl-Berliners erweist sich noch immer als hochgradig verzerrtes, mächtige Bilder erzeugendes und kaum fassbares Monstrum, welches man vergeblich als Schnittmenge von Industrial, Dark Ambient, IDM, Dubstep, Rhythmic Noise, Post-Rock und kontemporärer Klassik subsumieren könnte, würde es in Wahrheit nicht jenseits sämtlicher erprobter Strukturen umher wüten. Oyaarss ist wie ein Hexenmeister, der einen mit den Klängen seiner ‚Zaubermaschinen‘ in ein bittersüßes Universum entführt, das Vergangenheit und Zukunft eklektizistisch zusammenbringt.

Was allerdings schnell auffällt, ist, dass der Sound insgesamt an cineastischer Schärfe gewonnen hat. Phasenweise erklingen die Beats zum Beispiel nicht mehr so rumpelnd, glitchy und maximal dreckig wie bei den Vorgängern. Wirkten deren fantasievoll-trostlose Klangskulpturen noch den Trümmern einer kaputten Zivilisation entstiegen, angesiedelt irgendwo zwischen post-industrialisierter Endzeit und Grimms Märchen, hat »Zemdega« ein wenig dieser morbiden Eleganz eingebüßt. Im direkten Vergleich kann man der Platte einen in dieser Form noch nicht dagehabten, etwas kühleren und futuristischeren – in gewissen Momenten fast alienartigen – Charakter bescheinigen. Robotische Einschübe wie »Trīsvienība« waren nicht unbedingt zu erwarten und erweitern das Spektrum dezent in Richtung Science Fiction. Das Sound-Design ist ohne Frage ausgezeichnet – im wahrsten Sinne umwerfend. Die Percussions, das merkt man schon bei den ersten beiden Tracks, sind ‚filmischer‘ als zuvor. Und auch sonst kommen die Stücke effektverliebt daher, feuern mit Kinosaal-Wucht ins Ohr und nähern sich der Ästhetik von ‚Trailermusik‘ auf die bestmögliche Art und Weise (nicht ganz zufällig lief »Zemdega« als audiovisuelle Installation in einem Filmtheater in Riga).

Dementsprechend ist das Drittwerk aber eben auch skizzenhafter bzw. fragmentarischer geraten, eher auf schnelle und sprunghafte Metamorphosen ausgelegt. Ideen werden verhältnismäßig oft unmittelbar ausartikuliert, bevor sie schon wieder von der nächsten abgelöst werden. Es ist häufig mehr ein überlappendes ‚Hintereinander‘, statt gleichzeitiger Synthese. Durch diesen Fokus auf den Moment allein, auf das Kurzfristige und Affektive, geht der bis dato eigenwillige Fluss und ein Teil der brachialen Sogkraft verloren. Jetzt wäre es natürlich absurd, die Brüche und Wechselspielchen des Albums zu kritisieren, denn Oyaarss‘ Kunst ist ein einziger Traditionsbruch, ein in sich zerstörtes Gebilde. Doch vermisst wird sie in manchen Momenten schon, diese flächige zermalmende Power, die sich gern über Minuten ausbreitet, wie ein zäher Lavastrom. Es ist die Musik als das undurchdringliche Ganze, das einen entscheidenden Teil der Faszination dieses Projekts bislang ausgemacht hat. »Bads« und »Smaida Greizi Nākamība« sind bei aller Abstraktheit in sich ungemein stimmige und geschlossene Meisterwerke. Diese Qualitäten vermag »Zemdega« in der zweiten Hälfte wieder stärker zu forcieren: »Slikta dardedze« mit progressivem Aufbau, quasi das Herzstück in der Mitte des Albums, holpert unnachahmlich um seine kreisenden Melodien und Spoken Word-Mantras. Unbestrittenes Highlight stellt aber das direkt darauf folgende »Brustwart« dar, welches man gewissermaßen als das ‚neue‘ »Malduguns« bezeichnen kann – und nebenbei eindrucksvoll zeigt, dass Oyaarss auch im Uptempo-Modus bestens funktioniert. Abermals faszinierend-zwielichtige Melodien drängen sich um dicht verästelte Rhythmen; im Mittelteil wird das Tempo dann zurückgefahren; quietschige Modem-Sounds bleiben ein kurzes Zwischenspiel, das zu metallisch tönenden Drumpatterns überleitet. Was Laivinieks im Studio zusammengebraut hat, zerberstet hier in schonungsloser Brutalität; dazu gibt der Sänger der belgischen Band Amenra, Colin Van Eeckhout, seine wie von Sinnen geschrienen Vocals zum Besten – heftig! Das gelungene Zusammenspiel aus musikalischer Schönheit und forschem Basteln an den Klängen der Zukunft in »Trombocīts« – aggressive Snaredrums und insektoid anmutende Summ- und Klicklaute auf großartige Weise vereinend – sorgt für einen triumphalen Abschluss.

Nicht alles gelingt auf der Platte, so flächendeckend überwältigend wie die Vorgänger kommt sie nicht daher. Trotz alledem weiß sie mit ihrer erschlagenden physischen Kraft, der gekonnten Verquickung unterschiedlichster musikalischer Ausdrucksmittel und Referenzen zu überzeugen, wagt Veränderungen – und ist darüber hinaus garantiert nichts für Lärmempfindliche! Oder um es mit einer Metapher aus dem Sport zusammenzufassen: Oyaarss steht trotz Systemumstellung nicht mehr uneinholbar vor der Konkurrenz, dennoch reichen diesmal drei brillante Partien und eine Handvoll Arbeitssiege, um sich mit »Zemdega« das Triple zu sichern.

Tracklist:
01. Četrvienība
02. Izniekotā Laika Hronikas
03. Divdabība
04. Trīsvienība
05. Rītrīts
06. Slikta Dardedze 
07. Brustwart 
08. Purva Līdējs
09. Zemsega
10. Trombocīts 

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Review: Ben Frost – A U R O R A [2014]

Ben Frost- AURORA Cover[ Erschienen bei Bedroom Community / MUTE (2014) ]

Mit dem Begriff ‚Aurora‘ verbindet man unweigerlich die prächtigen Polarlichter, welche den schwarzen Nachthimmel in besonders nördlichen oder südlichen Regionen dieser Erde bunt erleuchten. Erscheinungen, die nicht nur so ausgesprochen selten und überwältigend schön sind, sondern buchstäblich auch ein anderes Licht auf die Welt werfen, gewissermaßen eine außergewöhnliche Wahrnehmungserfahrung fernab des Alltäglichen erlauben.

Alltägliches ist man von Soundkünstler Ben Frost sowieso nicht gewohnt. Während der Entstehungsphase seines aktuellen Albums entwickelte der Wahl-Isländer eigenen Aussagen zufolge eine regelrechte Obsession für Lumineszenzen – ob Meerestiere aus der Tiefsee, die farbenträchtigen Ergebnisse bildgebender Verfahren der Wissenschaft (wie z.B. beim ATLAS-Projekt des CERN) oder auch nur die grelle Neonbeleuchtung von Rave-Parties. Vor allem aber die Arbeit mit Fotograf und Videokünstler Richard Mosse, den Frost bei Aufnahmen im krisengeschüttelten Kongo für die Installation „The Enclave“ begleitet hat, habe die Ästhetik und Konzeption von „A U R O R A“ maßgeblich geprägt. Nicht zuletzt deshalb sind wichtige Teile des Albums sogar zwischen den Dreharbeiten entstanden – am Laptop und ohne Hilfe von Pianos, Streichinstrumenten, Gitarren und anderer bewährter ‚Studiotechnik‘.

Das Visuelle, es spielt eben eine große Rolle im Werk des Australiers, in diesem Fall vielleicht noch mehr als sonst. Das Albumcover zeigt (vermutlich) Frost in der Seitenansicht, der Kopf durch den oberen Rand zur Hälfte aus dem Bildraum exkludiert. Die gezeigte Person ist kaum identifizierbar, das Bild dunkel und extrem grobkörnig, beinah pointilistisch anmutend. Farbliche Akzente im dominanten Dunkel des Bilds verschaffen Neontöne: Rot, Gelb, Grün und Blau. Dieses auffällige Bildrauschen, die kontrastreiche Ästhetik aus kaltem, farbigem Licht und Schwärze erinnert an dunkle Science Fiction-Filme der 80er Jahre.

Quasi synästhetisch setzt sich diese Vision im Sound fort. Mit „A U R O R A“ legt Frost ein cinemaskopisches Ambient-Album vor, in dem ebenjene Ambivalenzen zu einer homogenen Einheit verschmelzen – harsch, spannungsgeladen und bisweilen dennoch melodiös. Schichten über Schichten von Lärm, verzerrten Texturen und harmonischen Farbtupfern übereinander türmend, entlockt der Geräuschkomponist dem synthetischen Krach eine brutale, kathartische Schönheit, der man sich nicht entziehen kann. Ohrenbetäubend pfeifend ruft schon Opener „Flex,“ den nervenaufreibenden Gänsehaut-Score der frühen „Terminator“-Filme ins Gedächtnis – das ist Suspense pur! Im nachfolgenden „Nolan“ kämpft man sich stimmungsmäßig dagegen schon durch das Innenleben der Skynet-Zentrale, in der sich finstere Maschinen selbst reproduzieren – oder hat hier etwa Tim Hecker seine Version der „Blade Runner“-Filmmusik geschrieben?

Frosts Musik ist mitunter so nach vorne drängend, dass man zwar noch nicht von Power Noise sprechen möchte, sich aufgrund ihrer maschinenhaft polternden Rhythmisierung aber stellenweise durchaus im Industrial-Sektor wiederfindet. Dieser raue, gewaltige Charakter ist ein Stück weit umso verblüffender, als dieser mit Ausnahme einiger von Gastmusikern eingespielten Percussions komplett auf Software-Basis fußt – abermals ein nonchalanter Beweis dafür, wie kantig und roh Laptop-Musik klingen kann.

Seine Synthese aus harten experimentellen Sounds und emotional packender Klangarchitektur, die Art und Weise wie destruktive Energie und stürmische Gefühlseruptionen Hand in Hand gehen, erinnert beim brillanten „Secant“ in all ihrer Erhabenheit an das überlebensgroße Spätwerk von Gridlock. Definitiv ein Highlight der Platte! Doch nicht alle Stücke schlagen den lautstarken Weg des filmischen Bombasts oder der erbarmungslosen Noise-Schlacht ein. Leisere Tracks wie das starke „The Teeth behind the Kisses“ sind aber auch keine behutsamen Ruhepausen, unter ihrer Oberfläche brodelt es gewaltig. Hier zeigen sich auch insbesondere laustärkedynamische Qualitäten. Möchte man in den stilleren Momenten noch reflexartig den Volumenregler hochdrehen, explodieren einem wenige Minuten später fast die Ohren, wenn kompromisslose Distortion-Orgien die Indikatornadel mühelos in den roten Bereich treiben.

Das große Finale „A Single Point of Blinding Light“ bringt das bildhafte Albumkonzept schließlich auf die Spitze: Neonfarbene Dance-Synthies durchfluten die Dunkelheit bis in den letzten Winkel, verstrahlt und derangiert wie sie klingen, erhalten sie im Kontext des Brachialen und Bedrohlichen eine ungemein bizarre Note. Ein wahnwitziges Unterfangen, das die Rezeptoren an die Grenzen der Leistungsfähigkeit und das Gesamtwerk zum einzig konsequenten Abschluss bringt.

Mit „A U R O R A“ ist Ben Frost eines der außergewöhnlichsten und mitreißendsten Alben des bisherigen Jahres gelungen. Stets fokussiert und treibend, findet es die genau richtige Balance zwischen Avantgarde-Krach, Minimalismus und breitwandigem Hollywood-Spektakel. Ein vielschichtiges Meisterwerk.

Tracklist:
01. Flex,
02. Nolan
03. The Teeth Behind Kisses
04. Secant
05. Diphenyl Oxalate
06. Venter
07. No Sorrowing
08. Sola Fide
09. A Single Point of Blinding Light

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Review: The Body – I Shall Die Here [2014]

The Body - I Shall Die Here (Cover)[ Erschienen bei RVNG Intl. (2014) / Bandcamp ]

Jeder von uns ist sein eigener Teufel, und wir machen uns diese Welt zur Hölle“, lautet ein erstaunlich zeitloser Satz von Oscar Wilde, welcher ein nicht gerade schmeichelhaftes Urteil über das Menschsein durchscheinen lässt. Auch Aufklärer Immanuel Kant verortet das Böse unmittelbar im Menschen – es steckt in uns allen und niemand ist davor gefeit. Ganz in diesem Sinne präsentiert sich auch das Album „I Shall Die Here“ der amerikanischen Experimental-Metaller The Body. Mit archaischer Brutalität und quälender Langsamkeit fegt das ambitionierte Werk über sämtliche humanistischen Wertvorstellungen, Rock-Klischees und schöngeistigen Kunstideale hinweg – ein wohltuend extremes Hörerlebnis, welches das innere Seelendunkel freisetzt. Die Titel der Songs allein sprechen Bände.

Verzerrte Gitarren-Drones, scheppernde Drums, sinistere Spoken Word-Samples und gnadenlose Noise-Attacken prägen das Soundbild des Albums, lassen dieses zur hervorragenden Grenzerfahrung für aufgeschlossene Hörer werden. Das Verderben kommt langsamen Schrittes, aber unaufhaltsam – monoton und monolithisch bohrt es sich durch den Gehörgang bis ins Innerste. All das mit einer Wucht und Intensität, die ihresgleichen sucht. Wer bei diesem Höllenlärm noch von Minimalismus als Konzept sprechen möchte, ist selbst schuld. Das ist Suizid-Musik.

Einen Gutteil seiner Faszination und Originalität verdankt „I Shall Die Here“ dabei den speziellen Umständen seiner Entstehung, genauer gesagt einer ungewöhnlichen Zusammenarbeit zwischen The Body und Bobby Krlic, den man besser unter dem Namen The Haxan Cloak kennt. Der Engländer, dem im letzten Jahr mit dem avantgardistischen Sensationsalbum „Excavation“ (hier zur Kritik) ein Überraschungserfolg gelang, hat bei jedem Song persönlich Hand angelegt. Tatsächlich hat Krlic das von der amerikanischen Band bereitgestellte Rohmaterial vollständig neu arrangiert und mit eigenen Facetten versehen. Damit ist er für die finalen Versionen der Tracks zuständig gewesen, weshalb er mindestens den halben Anteil am Gelingen des Albums trägt. Erstaunlich ist also, dass er hier nicht offenkundig als künstlerisch Verantwortlicher neben The Body geführt wird, zumal die Handschrift des Briten permanent präsent ist. Das zeigt sich insbesondere an den ungemein druckvollen Bässen und aufreibenden Synthie-Sprenklern, aber auch wenn es um Dynamik, den geschickten Einsatz von ‚Raum‘ bzw. Stille und unerwartete Twists geht.

Es dauert nicht lange, bis das Werk seinen perfide entschleunigten Terror entfaltet: Ein gelooptes obskures Kreischen, wie man sich das einer Hexe vorstellt, läutet „To Carry the Seeds of Death Within Me“ ein, wenig später kommen metallische, mit Hall unterfütterte Drumschläge und schabende Gitarrenklänge hinzu. Auch das folgende „Alone All The Way“ dröhnt genial bösartig, dass es eine wahre Freude ist und hält die fast unerträgliche Spannung bis zum Schluss, sodass man sich weiterer Todeswalzen gewiss sein kann. Mit herkömmlichem Sludge und Doom Metal hat das übrigens nur noch recht wenig gemein, bewegen sich die Tracks eher in einer Grauzone zwischen Drone, Industrial, Dark Ambient/Horrorfilmmusik und den genannten Genres.

Die Vocals der Zwei-Mann-Truppe aus Rhode Island lassen sich mehr als ein hysterisches, beinah unverständliches Keifen denn als Gesang bezeichnen. Sie dienen deswegen eher der Athmosphäre, statt als unmittelbarer Bedeutungsträger zu fungieren. In der ersten Albumhälfte befindet sich diese exzentrische stimmliche Darbietung dicht an der Grenze zur unfreiwilligen Komik, doch im weiteren Verlauf wandelt sich dieser Eindruck immer mehr in Verstörung; eine Komponente, die den Tracks einen gewissen Wahnsinn verleiht. So auch im großartigen „Hail To Thee, Everlasting Pain“. Mit eiskalten elektronischen Beats und Synthie-Spitzen beginnend, mündet der Aufbau in einer markerschütternden Kakophonie aus Folterschreien, Quietschgeräuschen, durchdringenden Percussions und anderen Noise-Trümmern. „Our Souls Were Clean“ begeistert mit ähnlichen Qualitäten, integriert aber sogar auf fabelhafte Weise ‚gewöhnliche‘ Gitarrenriffs. „Darkness Surrounds Us“ hingegen leistet sich nervöse, disharmonische Grusel-Streicher, die ihre zermürbende Wirkung nicht verfehlen.

I Shall Die Here“ ist ein grandioses Album, das dem Hörer einen tiefen Blick in die eigenen Abgründe eröffnet. Der radikale Ansatz erlaubt es, existenzielle Fragen jenseits aller verklärten Heile-Welt-Vorstellungen zu stellen: Wenn der Mensch an sich gut ist, wo liegt dann die Quelle des Bösen? Ist das Schlechte auf der Welt nur das Vakuum infolge der Abwesenheit des Guten oder hat es eine eigenständige Qualität? Angesichts der sechs nervenzerfetzenden, wenig hoffnungsvollen Stücke bleibt jedoch das beunruhigende Gefühl zurück, dass es sich von Anfang an nur um spöttisch-rhetorische Fragen gehandelt haben muss. Wenn du nicht zur Hölle fährst, dann kommt die Hölle eben zu dir.

Tracklist:
01. To Carry The Seeds Of Death Within Me 
02. Alone All The Way 
03. The Night Knows No Dawn
04. Hail To Thee, Everlasting Pain 
05. Our Souls Were Clean 
06. Darkness Surrounds Us

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Review: The Haxan Cloak – Excavation [2013]

The Haxan Cloak - Excavation[Erschienen bei Tri Angle (2013) / Design: D.R. ME / Photography by Cody Cobb]

Was geschieht nach dem Tod? Zerfällt man einfach zu Staub und verliert sich im Nichts, gibt es ein Jenseits, in dem das Bewusstsein weiterlebt, oder wird man vielleicht doch wiedergeboren? Fragen, die weder die Wissenschaften noch die Religionen einhellig beantworten können und zu den großen Rätseln gehören, die die Menschheit seit Jahrhunderten begleiten. Selbstverständlich können auch die Künste keine befriedigenden Antworten darauf geben, was mit der Seele – wenn es sie geben sollte – geschieht, wenn der Körper der Vergänglichkeit anheim gefallen ist, doch sie können die Imaginationskraft beschwören, um derartigen Mysterien Ausdruck zu verleihen. Nicht weniger als den Weg eines Verstorbenen möchte das ambitionierte Konzeptalbum „Excavation“ in ein klangliches Gewand hüllen.

Hinter The Haxan Cloak verbirgt sich Bobby Krlic, der nach seinem selbstbetitelten Debüt (2011) im April 2013 mit „Excavation“ sein vielbeachtetes Zweitwerk veröffentlicht hat, das es auf zahlreiche Jahresbestenlisten schaffte. Völlig zu Recht, wie man schnell feststellen muss, begibt man sich in die tiefschwarzen Abgründe, die der Engländer in seinen beeindruckenden Soundkreationen aufstößt. „Excavation“ ist ein minimalistischer Alptraum aus bedrohlichen Subbässen, abstrakten Slow Motion-Beats, Spukgeräuschen und zermürbenden Drone-Texturen, den man sich am besten alleine in den vier Wänden zu Gemüte führt – sofern man nicht zu den Zartbesaiteten gehört (dann wäre man hier allerdings eh an der falschen Stelle). Denn beim ausgiebigen Hören der Platte könnte einem mehr als nur einmal das Gefühl ereilen, von der Dunkelheit völlig verschlungen zu werden. Musik wie ein Fall ins Bodenlose.

Krlic erweist sich abermals als exzellenter Sounddesigner mit dem Gespür für verstörende und fremdartige Motive. Unter den dumpf lodernden Niederfrequenztonmassen und infernalen Trommelschlägen tummeln sich mitunter Kirchenglocken („The Mirror Reflecting (Part 1)“), Choralfragmente („Consumed“), nervöse Streichpassagen („Dieu“), irritierende Lautschnipsel („Miste“) und andere elektronisch verfremdete Klangelemente, doch die Arbeit mit Stille und Raum nimmt einen entscheidenden Platz ein, lässt das pure Nichts der Nachwelt im Kopf des Hörers plastisch werden. Zarte Melodieschleifen kommen ebenfalls mehrfach zum Einsatz und geben den Kompositionen zusätzlich eine fragile, geheimnisvolle Magie.

All das erinnert in Ansätzen durchaus an Horrorfilm-Scores, und die anfänglichen Keyboard-Arrangements im Schlusstrack „The Drop“ hätten sogar fast aus einem sehnsuchtsvollen 80er Synth-Popsong stammen können (aber auch nur fast), doch Krlic orientiert sich nicht an Genrekonventionen. „Excavation“ verfügt trotz mannigfaltiger Einflüsse aus Richtungen wie Drone Doom, Filmmusik und Minimal Techno über einen verblüffenden Überschuss an Originalität, um sich vom Gros herkömmlicher Friedhofsuntermalung abzusetzen. Es ist diese elektrifizierte Andersartigkeit, die musikgewordene Aushöhlung der Seele, die das Album so faszinierend und erschreckend zugleich macht. Ein meisterlicher Kraftakt, experimentell und doch flüssig, in sich geschlossen und ohne Schwächephasen. Zwischen Grauen und Schönheit wandelnd, wird „Excavation“ dem eigenen Anspruch mehr als gerecht, akustisch durchzuspielen, was einen Menschen nach dem Tod erwartet, bleibt dabei gleichzeitig stets ungewiss und rätselhaft wie das Thema selbst, sodass die Frage nur von der individuellen Vorstellungskraft beantwortet werden kann.

Tracklist:
01. Consumed
02. Excavation (Part 1)
03. Excavation (Part 2)
04. Mara
05. Miste
06. The Mirror Reflecting (Part 1)
07. The Mirror Reflecting (Part 2)
08. Dieu
09. The Drop

 

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