Beiträge getaggt mit Dark Ambient
Aus der Mottenkiste: Asmus Tietchens – Clones (1981)
Veröffentlicht von unsoundaesthete in Mottenkiste am 5. Dezember 2017
Karg, karger, Asmus Tietchens! – was in Bezug auf die allermeisten Musikschaffenden ziemlich despektierlich geklungen hätte, darf in diesem speziellen Fall durchaus als Kompliment verstanden werden. Seines Zeichens autodidaktischer Klangtüftler, begann der aus Hamburg stammende Tietchens schon in den späten 60ern, inspiriert durch Musique concrète, Stockhausen sowie die frühe elektroakustische Avantgarde, mit ersten Tonbandexperimenten. Während es Horden von Generationsgenossen vornehmlich in die Arenen zu den Stones, Led Zeppelin und Konsorten zog, werkelte der Individualist weitgehend für sich an (bis auf seltene Ausnahmen) abweisend-kühler, atonaler Grenzmusik, in der nicht selten gespenstische Hohlräume zum Klingen gebracht werden.
Es wäre vielleicht bloß ein verstiegenes Hobby geblieben, wenn ihm nicht gewisse Entwicklungen des Zeitgeistes entgegengekommen wären: Progressiv freischwebendes Synth-Genudel aka ‚Kosmische Musik‘ als Alternativ-Pop-Phänomen der 70er; die aufkommende D.I.Y.-Kultur, welche Amateurmusikern schlagartig Independent-Vertriebswege eröffnete, und die Herausbildung einer international vernetzten Noise-/Industrial-Szene, die abseitigen Ästhetiken inzwischen ein Nischenpublikum verschafft hatte. Unter anderem brachte Nurse With Wounds Steven Stapleton auf seinem Label einige von Tietchens Werken unter. Der wiederum fügte sich mit herzigen Release-Titeln wie »Seuchengebiete«, »Abfleischung« oder »Aus Freude am Elend« überraschend gut in das morbid-lärmende Umfeld ein.
Ungeachtet dessen lässt sich Tietchens Vorgehen am ehesten als zugleich explorativ und isolationistisch bezeichnen. Gerade auch letzteres hört man der Musik an und darf gerne konsequent auf die Rezeption übertragen werden. Soll heißen, ein Stück wie »Clones« entfaltet seine Wirkung vor allem, wenn man es alleine in ungestörter Umgebung anhört. Bezeichnenderweise ist es auf »Musik aus der Grauzone« von 1981 zu finden – ein möglicher Hinweis darauf, dass sich sein Erzeuger zu dieser Zeit auf der Schwelle zwischen verfremdetem Konkretmaterial, dunklen Drones und vergleichsweise zugänglichen Synthesizer-Elementen bewegte.
Im Wesentlichen scheint das Soundkonstrukt auf einem dezent schnarrenden Tape-Loop zu basieren, durch den vereinzelte Andeutungen von Melodien flirren. Bei den verhallten Einschlägen mag man jedoch kaum von einem Beat sprechen, genauso wie ein wiederholt auftauchender verzerrter Schreilaut wohl nur Hartgesottenen als Hook durchgehen dürfte. Mehr braucht es allerdings nicht, in den richtigen Händen, um gepflegten Grusel auszulösen. Ein Umstand, der sich im Zusammenspiel mit der visuellen Montage (YouToube-Konto: Ivica Jordanovski) noch verstärkt. Ging es dem heimlichen – und wie man gleich hinzufügen sollte: unfreiwilligen – Dark Ambient-Pionier auch erklärtermaßen niemals darum, bestimmte Bilder oder Vorstellungen zu erwecken, die unheimliche Ausstrahlung von »Clones« ist ganz und gar manifest.
Highlights 2016: Die besten Alben
Veröffentlicht von unsoundaesthete in Extras am 19. Februar 2017
Jetzt, wo sämtliche Jahresrückblicke längst vergessen und fragwürdige Awards bereits medienwirksam an die üblichen Verdächtigen verteilt worden sind, lasse auch ich mir eine persönliche Abrechnung mit 2K16 nicht nehmen, muss dazu aber leider ein wenig ausholen…
Review: Leila Abdul-Rauf – Insomnia [2015]
Veröffentlicht von unsoundaesthete in Reviews am 16. September 2015
| Erschienen bei Malignant Antibody / Bandcamp (2015) / Cover Artwork von Mark Thompson |
„Müde bin ich, geh‘ zur Ruh‘ / Schließe beide Äuglein zu“ – Wer schon einmal ernsthaft unter Schlaflosigkeit, Alpträumen oder anderen Störungen der körpereigenen Regenerationsmechanismen gelitten hat, der weiß, wie spöttisch so ein harmloser Kinderreim für Betroffene klingen kann. Sollte es sich wider Erwarten nicht um einen bloßen Zufall handeln, so darf man sich über die Schlafhygiene kalifornischer Musikerinnen dieser Tage durchaus Sorgen machen. Chelsa Wolfe zum Beispiel verarbeitete ihre zermarternden Schlafparalyse-Erfahrungen ausgiebig in ihrem im Sommer 2015 veröffentlichten Hype-Album »Abyss«, während bereits im März dieses Jahres – wohlgemerkt unter deutlich weniger medialer Aufmerksamkeit – Leila Abdul-Raufs einschlägig betiteltes Zweitwerk »Insomnia« erschien. Doch wo erstgenannte Singer-Songwriterin sämtliche Lo-Fi-Überbleibsel der Vergangenheit abgestreift und der Musikgemeinde nun ihre bislang durchschlagskräftigste Produktion beschert hat, kommen Abdul-Raufs Soundscapes dagegen erheblich ruhiger und introvertierter, aber ähnlich eindrucksvoll daher. Ein möglicher Grund für diese Zurückhaltung könnte in dem einfachen Umstand liegen, dass die Künstlerin aus San Francisco seit vielen Jahren an unterschiedlichen Projekten im Extreme Metal- und Industrial-Bereich aggressivere Seiten ausleben konnte, demgegenüber ihre entschleunigten Solo-Arbeiten einen wohltuenden Ausgleich zu bilden scheinen.
Ethereal-, Drone- und Ambient-Elemente finden sich darin zusammen, in eine vorgefertigte Genre-Schublade lässt sich die Musik aber nicht zwängen. Stilistisch wie ästhetisch knüpft »Insomnia« an das tolle Debütalbum »Cold And Cloud« (2013, erschienen bei Saadi Saati) an, unterscheidet sich von diesem allerdings in einigen Nuancen. Was nicht bedeutet, das hier nicht ebenfalls jene in sich gekehrte Betrübtheit ihren Platz gefunden hat, die schon den Vorgänger auszeichnete, jedoch sind die Stücke nicht nur trist und grau ausgefallen. Schillerndes Mondlicht hellt von Zeit zu Zeit die nachtschattige Schwer- und Wehmut auf und gibt den flächigen Tracks einen geheimnisvollen Schimmer. Eine allzu klischierte Gothik-Romantik darf man sich darunter nicht vorstellen; vielmehr mischt sich eine verschwommene, geisterhafte Schönheit unter die nebelverhangenen Texturen, denen sie auf diese Weise zu traumwandlerischem Glanz verhilft. Welchem Aspekt man das größere Gewicht zugestehen möchte, hängt im Wesentlichen von der individuellen Wirkung auf den jeweiligen Hörer ab. Die herrliche Winterlandschaft auf Mark Thompsons großartigem Cover Artwork erweist sich dabei als durchaus treffendes Abbild dieser unterschiedlichen Dimensionen: Unschwer lässt sich die Szenerie als Ausdruck von Einsamkeit und Verzweiflung lesen, manch einer wird der verschneiten Stille aber ebenso eine friedvolle Erhabenheit attestieren wollen.
Für das klanglich-atmosphärische Fundament aus zumeist langgezogenen Tönen kommen unter anderem effektverfremdete, gedämpfte E-Gitarren-Feedbackschleifen und verschiedene Elektronik zum Einsatz, seltener treten Klavier- und Violinklänge hinzu. Die entscheidenden emotionalen Akzente setzt die Multiinstrumentalistin jedoch mit ihrem aufwühlenden Trompetenspiel. Darüber hinaus macht sie in einigen Stücken von ihrer Stimme Gebrauch, die mal wortlos als reines Texturelement eingesetzt, mal für den Vortrag von Liedtexten verwendet wird. Nicht nur aufgrund des gläsernen Sirenengesangs fühlt man sich momentweise – um mal einen bekannten Namen einzuwerfen – ein bisschen an Grouper erinnert; diesen Vergleich darf man aber nicht überstrapazieren, dafür ist der stilistische Ansatz von Leila Abdul-Rauf viel zu eigenständig.
Die elf Tracks fügen sich somit zu einem kohäsiven Gesamtbild zusammen, das zwischen den unwirklichen Verzerrungen der Nacht und der grüblerischen Realität im Angesicht des Schlafentzuges oszilliert. Mit angemessen geisterstündlicher Spukstimmung um »Midnight« beginnend und in den »Dark Hours of Early Morning« sinister endend, lässt sich sogar ein narrativer Faden ausmachen, dazwischen scheinen reduzierte Einschübe wie »Clock Glows« oder »Seconds Tick« den Ablauf der Nacht wiederzugeben. Anders ausgedrückt, handelt es sich also weniger um ein ‚klassisches‘ Ambientwerk, das quasi im Endlosen zirkuliert, noch um eine Sammlung disparater Stücke. Zutreffender dagegen erscheint der beinahe unausweichliche Vergleich mit einem Soundtrack/Score – nur mit umgekehrter Hierarchie, weil die Musik einen imaginativen Film beim Hörer entstehen lässt. Zu den Highlights in der ersten Albumhälfte gehört auf jeden Fall das entrückt schillernde »The Opening«. Das klaviergestützte »Pull (feat. Kat Young)« wiederum ist von allen Tracks derjenige, welcher nicht nur wegen seiner klar vorgetragenen Vokalpassagen noch am ehesten an einen konventionellen Song erinnert, was die atmosphärischen Qualitäten jedoch kaum mindert. Die Verse hierfür hat übrigens Leila Abdul-Raufs Mutter eingesungen. Bei »He Sits in His Room« ist sie dann wieder selbst am Mic zu hören. Und natürlich an der Trompete. Selbige durchdringt die unbeschreibliche Klanglandschaft mit solch eindringlicher Melancholie, das eine Gänsehaut praktisch vorprogrammiert ist. Überwältigungspotential, das auch die direkt darauf folgende, ungemein dichte Instrumentalkomposition »Wane« auszureizen weiß. Großartig.
Wenn auch nicht jeder Track derart heraussticht wie die oben beschriebenen Exemplare, ist »Insomnia« eine ziemlich runde und nahezu makellose Angelegenheit. Manchmal unterschwellig, aber niemals einfach dahinplätschernd. Ein fabelhaftes Album, das selbstverständlich den großen Menschenmassen fremd bleiben wird. Nichtsdestotrotz ist dennoch zu hoffen, dass es über das Dasein eines bloßen Geheimtipps hinauskommen wird. Verdient wäre es allemal.
Tracklist:
01. Midnight
02. Drift ✓
03. The Opening ✓
04. Clock Glows
05. Pull (feat. Kat Young)
06. Seconds Tick
07. Edges Of A Mirror
08. Absence ✓
09. He Sits In His Room ✓
10. Wane ✓
11. Dark Hours of Early Morning
Review: Theologian – Pain of the Saints [2015]
Veröffentlicht von unsoundaesthete in Reviews am 21. März 2015
| Erschienen bei Malignant Records (2015) |
Lee Bartow alias Theologican gehört zu den prägenden und vor allem ziemlich produktiven Kräften im Post-Industrial-Sektor der letzten Jahre. Obwohl die Diskographie seines gegenwärtigen Solo-Projekts 2009 ihren späten Anfang findet – in Nachfolge zu seinem Engagement als Mastermind der kurz zuvor aufgelösten Navicon Torture Technologies – hat der US-Amerikaner seitdem eine beachtliche Anzahl von Veröffentlichungen angehäuft. Mit »Pain of the Saints« legte Bartow nun sogar ein bis zum Bersten vollgepacktes Doppelalbum vor.
Schon der Titel und das stilvoll-blutige Cover-Artwork deuten auf die hier verfolgte ästhetische Zielrichtung hin. Davon abgesehen ist Theologian auch wahrlich kein Künstler, über den man im Formatradio oder in der TV-Werbung stolpern würde, und auf dem nächsten Kirchentag wird man seine Musik sicher nicht antreffen. Nähert man sich dem neuen Werk trotz aller Vorzeichen ganz unbedarft, dürfte man alsbald kalt erwischt werden. Besser gesagt, man hockt sogleich im Vorhof des Verderbens. Wenige Minuten sollten locker für die Feststellung reichen, dass man hier alles andere als leichte Feierabendkost vor sich hat. Der erste und mit über dreizehn Minuten zugleich längste Track »Savages« schickt einen früh in die akustische Unterwelt; gedämpft-verschwommenes Klopfen im Hintergrund, maschinelles Knattern und Schnarren, statisch-stechende Synthtöne, sinistres Rauschen und wiederholte schmerzverzerrte Laute vereinen sich zu einem ziemlich unfreundlichen Empfangskomitee. Wem dieser morbide Kosmos aus Mystik, Noise und Selbstzerfleischung eine (im Wortsinn) Heidenangst einjagt, ist gut beraten, hier den nächsten Ausgang zu nehmen. Für den geneigten Anhänger abgründig-atmosphärischer Musik hingegen gibt es Balsam für die Ohren.
Bartows Arbeit, angesiedelt in relativ wenig definierten Grenzbereichen zwischen Death Industrial, Dark Ambient und ähnlichen Subgenres, ist zum einen sehr facettenreich ausgefallen, aber bisweilen auch beachtlich komplex. Das virtuose ‚Layering‘ der vielen Soundschichten erweist sich als klarer Trumpf, Klangelemente sind spürbar mit viel Bedacht zusammengesetzt. Und auch wenn die insgesamt 20 Tracks stellenweise ohne jeden Zweifel harsch und mit der nötigen Kompromisslosigkeit daherkommen, geht die von Außenstehenden im Industrial so häufig vermisste Musikalität im Grunde doch nie verloren. Dennoch ist »Pain of the Saints«, alleine schon aufgrund der überbordenden Länge von mehr als 2 ½ Stunden, natürlich ein harter Brocken, der es wirklich in sich hat. Aber einer, in den man sich hervorragend versenken kann, dafür bieten sich genug Zwischentöne, Details und Ideen.
Der repetitive Power Electronics-Stampfer »Infection« gehört in dieser Hinsicht jedoch eher zu den weniger interessanteren Beiträgen. Auffälliger, und das nicht nur wegen des bedingt familienfreundlichen Titels, ist da schon »Piss and Jism«. Das setzt auf einen beharrlich grollenden Drone-Teppich und Vocals, die so verzerrt sind, das man beinah nur noch ein zischendes Spektrum wahrnimmt, sowie langgezogene Schreistimmen, die viel mehr organisch in die Textur eingearbeitet werden, anstatt eine gewöhnliche vokale ‚Funktion‘ einzunehmen. Ein grandioser Ausflug in spacige Sphären ist »Gravity« geworden, bei welchem sternschnuppenartige Tonmodulationen und schmetternde Riesenasteroiden-Klänge die Akzente im ruhigen, fast schon meditativen Wabern setzen. »Of Foulness And Faithfulness« sticht heraus, weil seine ratternde Fabrikkulisse ironischerweise so dumpf geraten ist, als wäre das Stück irgendwann in den frühen 80ern produziert worden. Eine in ihrer sturen Konsequenz und dichten Konstruktion geradezu faszinierend eindringliche Lärmwand. »Sainthood Is Suffering« ist deutlich Beat-orientierter als das restliche Material – das Ganze geht schon stärker in Richtung Electro-Industrial oder Rhythmic Noise -, manövriert sich aber im Verlauf in einen immer dichter werdenden Sturm aus gnadenlos übersteuerten Texturen und Melodie-Schemen.
»The Lies Of The Past Become The Prayers Of The Future« eröffnet die zweite Hälfte noch intensiver als »Savages« die erste, obgleich das Stück im direkten Vergleich deutlich kürzer angelegt ist. Die vielleicht plastischste Repräsentation des Albumkonzepts geht im Anschluss mit »Suppuration« vonstatten, da die eigentlich recht feierliche, erbauliche Stimmung hinterrücks mit qualvollen Lauten unterlegt ist und damit gewissermaßen verdeutlicht wird, dass Leid und Schmerz in der Religiosität des Christentums eine elementare Rolle spielen, was man als durchaus fragwürdig empfinden kann – entsprechend lässt sich dieses ‚Licht‘ auf der texturalen (nicht textlichen) Ebene als Scheinheiligkeit interpretieren. Momente wahrhaftiger Schönheit finden sich allerdings auch auf dem Album: Wie das traurige Violinenspiel in »Blessed Pray« die geheimnisumwobenen, schimmernden Flächen umgarnt und so eine magische Atmosphäre erzeugt, kann einem schon mal die Sprache verschlagen… Weniger Harmonien, dafür jedoch akustisches Waterboarding – im positiven Sinn – verspricht »Redemption Is An Impossibility«; ein einziger Spannungsaufbau, der sich steigert und steigert, sogar eine überraschend groovige Distortion-Bassline zulässt, und dann auf dem Fast-Höhepunkt ohne großen Knall wieder auseinanderfällt. »Self-Flagellation As Faith« bringt zum Schluss mit ritualistischem Getrommel und Frauengesang noch einmal andere Nuancen hinein und außerdem die Kasteiungen vom Anfang des Albums zurück.
Bleibt abschließend festzuhalten: »Pain of the Saints« ist in seiner ausufernden Ganzheit definitiv eine Herausforderung, die sich bei gründlicher Auseinandersetzung aber umso mehr bezahlt macht. Mag die zugrundeliegende Katholizismuskritik, welche Doppelmoral und Sadismus anprangert, manch einem vielleicht zu offensichtlich sein und nicht mehr ganz taufrisch erscheinen, sollte man sich trotzdem nicht abschrecken lassen. Denn Theologian hat ein Werk hingelegt, das durch stilistisches Abwechslungsreichtum, cleveres Verwischen von Subgenre-Codes und handwerkliche Sorgfalt über die volle Laufzeit überzeugen kann.
Tracklist:
1 – 01. Savages ✓
1 – 02. Infection
1 – 03. Serpentine Angels
1 – 04. Piss And Jism ✓
1 – 05. Gravity ✓
1 – 06. Without Trust, Your Love Is Meaningless
1 – 07. Of Foulness And Faithfulness
1 – 08. Iron Pierces Flesh And Bone Alike
1 – 09. You Are The End Of The World ✓
1 – 10. Sainthood Is Suffering ✓
———
2 – 01. The Lies Of The Past Become The Prayers Of The Future
2 – 02. Suppuration
2 – 03. Witchfinder ✓
2 – 04. Their Gelded And Rapacious Hearts
2 – 05. Deprivation
2 – 06. Blessed Prey ✓
2 – 07. With Eternal Derision
2 – 08. Redemption Is An Impossibility ✓
2 – 09. It Was You Who Taught Me Indifference
2 – 10. Self-Flagellation As Faith
Highlights 2014: Top-Alben
Veröffentlicht von unsoundaesthete in Extras am 25. Januar 2015
Ganz ehrlich: Niemand mag frühe Jahresrückblicke, die einem schon Anfang Dezember allerorts aufgedrängt werden. Deswegen… na gut, auch wegen anderer Gründe, kommt mein Highlight-Ranking für 2014 auch später als alle anderen! Wie schon im letzten Jahr gilt natürlich auch diesmal das Credo: Vollständige oder objektive Bestenlisten gibt es nicht, sie bleiben stets Ausschnitte ohne Universalitätscharakter – eine persönliche Selektion nach individuellen Kriterien. Und trotzdem fiel es mir diesmal sogar schwer, eine für die eigenen Maßstäbe zufriedenstellende Rangliste zu kreieren.
2014 erschien mir in musikalischer Hinsicht nämlich in der Spitze sehr dicht gestaffelt, nur wenig hat sich daher wirklich für eine ‚Ehrung‘ aufgedrängt. Zwar gab es durchaus viele gute und sehr gute Alben, jedoch kaum besonders hervorstechende, brillante, mitreißende Werke, die meine subjektiven Knöpfchen zu drücken wussten. Oder lag es vielleicht an enttäuschten Erwartungen? Manche mit Vorfreude erwartete Alben gestandener Künstler konnten ihre Vorschusslorbeeren letztlich nicht ganz einlösen.
Beherrscht wurde das Jahr indes vor allem von Ambient- und Drone-Klängen, ätherisch-umwasserten Rock-/Pop-Formationen sowie ‚Hauntologen‘-Techno – es ist, als lege sich ein nebulöser Schleier um den Musikbetrieb unserer Zeit –, wohingegen viele bekannte Post-Rock-Bands solide Alben ohne größere Neuerungen nachlegten. Das Ranking haben diese Trends aber nicht unbedingt dominiert. Alles in allem war es ein knappes Rennen an der Spitze, mit vielen Anwärtern auf einen Startplatz, aber keinen echten Titelfavoriten. Nur eines kann ich vorab versprechen, Coldplay oder Kraftclub sind garantiert nicht darunter!
Review: Ben Frost – A U R O R A [2014]
Veröffentlicht von unsoundaesthete in Reviews am 25. September 2014
[ Erschienen bei Bedroom Community / MUTE (2014) ]
Mit dem Begriff ‚Aurora‘ verbindet man unweigerlich die prächtigen Polarlichter, welche den schwarzen Nachthimmel in besonders nördlichen oder südlichen Regionen dieser Erde bunt erleuchten. Erscheinungen, die nicht nur so ausgesprochen selten und überwältigend schön sind, sondern buchstäblich auch ein anderes Licht auf die Welt werfen, gewissermaßen eine außergewöhnliche Wahrnehmungserfahrung fernab des Alltäglichen erlauben.
Alltägliches ist man von Soundkünstler Ben Frost sowieso nicht gewohnt. Während der Entstehungsphase seines aktuellen Albums entwickelte der Wahl-Isländer eigenen Aussagen zufolge eine regelrechte Obsession für Lumineszenzen – ob Meerestiere aus der Tiefsee, die farbenträchtigen Ergebnisse bildgebender Verfahren der Wissenschaft (wie z.B. beim ATLAS-Projekt des CERN) oder auch nur die grelle Neonbeleuchtung von Rave-Parties. Vor allem aber die Arbeit mit Fotograf und Videokünstler Richard Mosse, den Frost bei Aufnahmen im krisengeschüttelten Kongo für die Installation „The Enclave“ begleitet hat, habe die Ästhetik und Konzeption von „A U R O R A“ maßgeblich geprägt. Nicht zuletzt deshalb sind wichtige Teile des Albums sogar zwischen den Dreharbeiten entstanden – am Laptop und ohne Hilfe von Pianos, Streichinstrumenten, Gitarren und anderer bewährter ‚Studiotechnik‘.
Das Visuelle, es spielt eben eine große Rolle im Werk des Australiers, in diesem Fall vielleicht noch mehr als sonst. Das Albumcover zeigt (vermutlich) Frost in der Seitenansicht, der Kopf durch den oberen Rand zur Hälfte aus dem Bildraum exkludiert. Die gezeigte Person ist kaum identifizierbar, das Bild dunkel und extrem grobkörnig, beinah pointilistisch anmutend. Farbliche Akzente im dominanten Dunkel des Bilds verschaffen Neontöne: Rot, Gelb, Grün und Blau. Dieses auffällige Bildrauschen, die kontrastreiche Ästhetik aus kaltem, farbigem Licht und Schwärze erinnert an dunkle Science Fiction-Filme der 80er Jahre.
Quasi synästhetisch setzt sich diese Vision im Sound fort. Mit „A U R O R A“ legt Frost ein cinemaskopisches Ambient-Album vor, in dem ebenjene Ambivalenzen zu einer homogenen Einheit verschmelzen – harsch, spannungsgeladen und bisweilen dennoch melodiös. Schichten über Schichten von Lärm, verzerrten Texturen und harmonischen Farbtupfern übereinander türmend, entlockt der Geräuschkomponist dem synthetischen Krach eine brutale, kathartische Schönheit, der man sich nicht entziehen kann. Ohrenbetäubend pfeifend ruft schon Opener „Flex,“ den nervenaufreibenden Gänsehaut-Score der frühen „Terminator“-Filme ins Gedächtnis – das ist Suspense pur! Im nachfolgenden „Nolan“ kämpft man sich stimmungsmäßig dagegen schon durch das Innenleben der Skynet-Zentrale, in der sich finstere Maschinen selbst reproduzieren – oder hat hier etwa Tim Hecker seine Version der „Blade Runner“-Filmmusik geschrieben?
Frosts Musik ist mitunter so nach vorne drängend, dass man zwar noch nicht von Power Noise sprechen möchte, sich aufgrund ihrer maschinenhaft polternden Rhythmisierung aber stellenweise durchaus im Industrial-Sektor wiederfindet. Dieser raue, gewaltige Charakter ist ein Stück weit umso verblüffender, als dieser mit Ausnahme einiger von Gastmusikern eingespielten Percussions komplett auf Software-Basis fußt – abermals ein nonchalanter Beweis dafür, wie kantig und roh Laptop-Musik klingen kann.
Seine Synthese aus harten experimentellen Sounds und emotional packender Klangarchitektur, die Art und Weise wie destruktive Energie und stürmische Gefühlseruptionen Hand in Hand gehen, erinnert beim brillanten „Secant“ in all ihrer Erhabenheit an das überlebensgroße Spätwerk von Gridlock. Definitiv ein Highlight der Platte! Doch nicht alle Stücke schlagen den lautstarken Weg des filmischen Bombasts oder der erbarmungslosen Noise-Schlacht ein. Leisere Tracks wie das starke „The Teeth behind the Kisses“ sind aber auch keine behutsamen Ruhepausen, unter ihrer Oberfläche brodelt es gewaltig. Hier zeigen sich auch insbesondere laustärkedynamische Qualitäten. Möchte man in den stilleren Momenten noch reflexartig den Volumenregler hochdrehen, explodieren einem wenige Minuten später fast die Ohren, wenn kompromisslose Distortion-Orgien die Indikatornadel mühelos in den roten Bereich treiben.
Das große Finale „A Single Point of Blinding Light“ bringt das bildhafte Albumkonzept schließlich auf die Spitze: Neonfarbene Dance-Synthies durchfluten die Dunkelheit bis in den letzten Winkel, verstrahlt und derangiert wie sie klingen, erhalten sie im Kontext des Brachialen und Bedrohlichen eine ungemein bizarre Note. Ein wahnwitziges Unterfangen, das die Rezeptoren an die Grenzen der Leistungsfähigkeit und das Gesamtwerk zum einzig konsequenten Abschluss bringt.
Mit „A U R O R A“ ist Ben Frost eines der außergewöhnlichsten und mitreißendsten Alben des bisherigen Jahres gelungen. Stets fokussiert und treibend, findet es die genau richtige Balance zwischen Avantgarde-Krach, Minimalismus und breitwandigem Hollywood-Spektakel. Ein vielschichtiges Meisterwerk.
Tracklist:
01. Flex,
02. Nolan
03. The Teeth Behind Kisses ✓
04. Secant ✓
05. Diphenyl Oxalate ✓
06. Venter ✓
07. No Sorrowing
08. Sola Fide ✓
09. A Single Point of Blinding Light ✓
Review: The Haxan Cloak – Excavation [2013]
Veröffentlicht von unsoundaesthete in Reviews am 4. Mai 2014
[Erschienen bei Tri Angle (2013) / Design: D.R. ME / Photography by Cody Cobb]
Was geschieht nach dem Tod? Zerfällt man einfach zu Staub und verliert sich im Nichts, gibt es ein Jenseits, in dem das Bewusstsein weiterlebt, oder wird man vielleicht doch wiedergeboren? Fragen, die weder die Wissenschaften noch die Religionen einhellig beantworten können und zu den großen Rätseln gehören, die die Menschheit seit Jahrhunderten begleiten. Selbstverständlich können auch die Künste keine befriedigenden Antworten darauf geben, was mit der Seele – wenn es sie geben sollte – geschieht, wenn der Körper der Vergänglichkeit anheim gefallen ist, doch sie können die Imaginationskraft beschwören, um derartigen Mysterien Ausdruck zu verleihen. Nicht weniger als den Weg eines Verstorbenen möchte das ambitionierte Konzeptalbum „Excavation“ in ein klangliches Gewand hüllen.
Hinter The Haxan Cloak verbirgt sich Bobby Krlic, der nach seinem selbstbetitelten Debüt (2011) im April 2013 mit „Excavation“ sein vielbeachtetes Zweitwerk veröffentlicht hat, das es auf zahlreiche Jahresbestenlisten schaffte. Völlig zu Recht, wie man schnell feststellen muss, begibt man sich in die tiefschwarzen Abgründe, die der Engländer in seinen beeindruckenden Soundkreationen aufstößt. „Excavation“ ist ein minimalistischer Alptraum aus bedrohlichen Subbässen, abstrakten Slow Motion-Beats, Spukgeräuschen und zermürbenden Drone-Texturen, den man sich am besten alleine in den vier Wänden zu Gemüte führt – sofern man nicht zu den Zartbesaiteten gehört (dann wäre man hier allerdings eh an der falschen Stelle). Denn beim ausgiebigen Hören der Platte könnte einem mehr als nur einmal das Gefühl ereilen, von der Dunkelheit völlig verschlungen zu werden. Musik wie ein Fall ins Bodenlose.
Krlic erweist sich abermals als exzellenter Sounddesigner mit dem Gespür für verstörende und fremdartige Motive. Unter den dumpf lodernden Niederfrequenztonmassen und infernalen Trommelschlägen tummeln sich mitunter Kirchenglocken („The Mirror Reflecting (Part 1)“), Choralfragmente („Consumed“), nervöse Streichpassagen („Dieu“), irritierende Lautschnipsel („Miste“) und andere elektronisch verfremdete Klangelemente, doch die Arbeit mit Stille und Raum nimmt einen entscheidenden Platz ein, lässt das pure Nichts der Nachwelt im Kopf des Hörers plastisch werden. Zarte Melodieschleifen kommen ebenfalls mehrfach zum Einsatz und geben den Kompositionen zusätzlich eine fragile, geheimnisvolle Magie.
All das erinnert in Ansätzen durchaus an Horrorfilm-Scores, und die anfänglichen Keyboard-Arrangements im Schlusstrack „The Drop“ hätten sogar fast aus einem sehnsuchtsvollen 80er Synth-Popsong stammen können (aber auch nur fast), doch Krlic orientiert sich nicht an Genrekonventionen. „Excavation“ verfügt trotz mannigfaltiger Einflüsse aus Richtungen wie Drone Doom, Filmmusik und Minimal Techno über einen verblüffenden Überschuss an Originalität, um sich vom Gros herkömmlicher Friedhofsuntermalung abzusetzen. Es ist diese elektrifizierte Andersartigkeit, die musikgewordene Aushöhlung der Seele, die das Album so faszinierend und erschreckend zugleich macht. Ein meisterlicher Kraftakt, experimentell und doch flüssig, in sich geschlossen und ohne Schwächephasen. Zwischen Grauen und Schönheit wandelnd, wird „Excavation“ dem eigenen Anspruch mehr als gerecht, akustisch durchzuspielen, was einen Menschen nach dem Tod erwartet, bleibt dabei gleichzeitig stets ungewiss und rätselhaft wie das Thema selbst, sodass die Frage nur von der individuellen Vorstellungskraft beantwortet werden kann.
Tracklist:
01. Consumed
02. Excavation (Part 1)
03. Excavation (Part 2)
04. Mara
05. Miste
06. The Mirror Reflecting (Part 1)
07. The Mirror Reflecting (Part 2)
08. Dieu
09. The Drop