Beiträge getaggt mit Jungle

Goodbye Tomorrow!

Jahrgang ’15, aber geht ab wie… ’94? Happy Hardcore-Pianos, cheesy Vocal samples und Breakbeats delikat in-your-Face. Das Ding zieht wirklich alle Register, fehlt nur noch die olle Rave-Sirene (Schade drum!). Erzählt mir bloß nichts von Nostalgie. Warum heißt das Teil wohl »Amnesia«? Und wiederholt sich in der gefühlten Endlosschleife? Scharf nachdenken…kommt man drauf. Ich bezweifle fast schon, dass es einen Song gibt, der mehr über unsere heutige Zeit aussagen könnte. Ach, war nicht vor kurzem auch BTTF-Day?

 
Kleiner Nachklapp: Das unschlagbare ‚Original‘ gibt’s auf SoundCloud.

 

, , , , , , ,

Hinterlasse einen Kommentar

Review: End.user & N.L.I.C. – her shadow EP [2015]

End.user & N.L.I.C. - her shadow EP| Erschienen bei Bandcamp / Sonicterror (2015) / Coverfotografie von Chris Arson |

Die Atmosphäre ist elektrisch geladen, ein finsteres Grollen ertönt im Hintergrund. Vom Himmel regnet ein Bombenteppich nieder und wüstes Batteriefeuer von allen Seiten durchsiebt die Luft. Die Rede ist nicht etwa von einem Schlachtfeld aus dem vergangenen Jahrhundert, sondern von Musik. Einer radikalen Artikulation von Musik, die sich gebärdet, als wäre der dritte Weltkrieg ausgebrochen – so kennt und schätzt man die Soundgewalt von End.user. Es kommt also nicht von ungefähr, dass er und Kollege N.L.I.C. ihre musikalisches Heim und Wirkungsstätte Sonicterror getauft haben. Doch auf reine Krawallmacherei darf man die Beiden längst nicht reduzieren, haben Lynn Standafer und Carl Sealey, die Personen hinter den Pseudonymen, oft genug bewiesen, dass sie versierte Samplingkünstler mit einem Gespür für Atmosphäre und elaboriertes Klangdesign sind.

Gemeinsam haben die zwei Breakcore-Heads nun eine neue EP herausgebracht. Nicht etwa auf Hymen, Ohm Resistance oder Ad Noiseam, einige der namhaften Stationen in der Vergangenheit – nein, stattdessen ganz einfach und ohne große Promotion via Bandcamp. Fünf Tracks beinhaltet das Release, die meisten davon sind mit etwas mehr oder weniger als vier Minuten Laufzeit recht kurz gehalten. Opener »tranquility (pulling the veil)« erklingt bemerkenswert ruhig und melodisch. Die nach ungefähr einer Minute einsetzende Drumspur ist dann aber doch ein bisschen zu schneidend, nervös und verzwickt konstruiert, um die Bezeichnung Downtempo hier adäquat erscheinen zu lassen. In jedem Falle handelt es sich um einen ebenso gelungenen wie unaufgeregten Beginn, den man durchaus mehrmals hören kann, bevor man alle Feinheiten registriert. In eine vergleichbare Richtung wie das Eröffnungsstück weist auch »regret (iamthesun – zinovia version)«, die alternative Version eines älteren Tracks, den man schon damals auf End.users Album »Even Weight« von 2011 zu hören bekam. Wie der Hinweis im Titel verrät, entstand diese Fassung in Zusammenarbeit mit der äußerst begnadeten Produzentin Zinovia Arvanitidi. Auch wenn das Stück an sich nicht wirklich neu ist, so fügt es sich doch passend in die Veröffentlichung ein. Denn auch der nachfolgende Titel (»i didn’t forget it, i left it there for you«) ist wieder melancholisch und zurückgenommen ausgefallen, lediglich die impulsive Schlagzeug-Rhythmik unternimmt hin und wieder Zuckungen, die aus der getragenen Stimmung etwas ausbrechen. Und wieder überzeugt das Duo mit schwermütiger Komposition und niedrigem Tempo.

Die Ruhe soll jedoch bald ein Ende haben. Programmatisch wird die zweite Hälfte der EP von »awakening the beast« eingeläutet: Anfangs ein recht einfach gehaltenes Drum & Bass-Stück neuerer Schule, bringt es im weiteren Verlauf die heftigen, überfallartig rollenden Beat-Attacken zurück, wegen der sich End.user seinen Ruf als kompromisslosen Breakbeat-Berserker verdiente. Nach diesem kurzweiligen Fast-Vierminüter lässt »ditch« mit Kollabopartner Gore Tech endgültig die Breakcore-Katze aus dem Sack – und zwar so, als wäre das Biest mit Absicht lange Zeit nicht gefüttert worden! Zunächst muss es einen verschlungenen, stimmungsvollen Intro-Parcours hinter sich lassen, bevor es schließlich seinen vernichtenden Beutezug antreten darf, bei dem wirklich nichts mehr heil bleibt. Das Verheerende: Es ist brutal und intelligent – also gleich doppelt gefährlich. Aber genug der Rhetorik! »ditch« ist eine irre gute Haudrauf-Chose mit Dynamik, Ideen und diversen Rhythmusverschiebungen. Zutaten: Kreischende Soundspitzen und hysterisches Geballer wie aus einem Sci-Fi-Shooterspiel. Zum Schluss setzt der Track ganz und gar auf pure Amen Break-Power; richtig eingesetzt, zeigt sich auch hier wieder zu welcher brachialen Sprengkraft dieses altbekannte Drumming-Sample fähig ist!

Das Gesamtbild stimmt: »her shadow« ist eine runde und schlüssige EP, die eine klare Progression durchläuft. Sind die ersten Titel noch vergleichsweise langsam und ausgeglichen, steigt die Aggressivität und Härte nachher eklatant an. End.user und N.L.I.C. beweisen, dass sie beide Seiten – die leisen Töne und das Martialisch-destruktive – sowie das Grau dazwischen beherrschen. Beachtenswert dabei ist zudem der Umstand, dass das Release ohne unterstützendes Label im Rücken und quasi auf eigenes Risiko der Künstler in die Welt gesetzt wurde. Ein waschechtes Independent-Werk sozusagen. Umso mehr wäre es den Urhebern zu gönnen, dass diese hörenswerte Musik auch ein Publikum findet.

Tracklist:
01. tranquility (pulling the veil)
02. regret (zinovia version)
03. i didn’t forget it, i left it there for you
04. awakening the beast
05. ditch (feat. Gore Tech)

, , , , , , , , , , ,

Hinterlasse einen Kommentar

Heute ist morgen ist vorgestern – Gefangen in der Retroschleife?

Im von mir nicht sonderlich geschätzten (aber das ist ein anderes Thema) Online-Mag Noisey, schrieb Joe Zadeh kürzlich einen Artikel über aktuelle Tendenzen und die Zukunft der Popkultur, der mich im Nachgang doch mehr beschäftigte als zunächst angenommen. Entgegen meiner Erwartungen war ich nicht auf einen weitere unsägliche, gewollt auf hip und jugendlich getrimmte Ansammlung von Fast-Food-journalistischen Phrasen gestoßen, sondern auf im Ansatz durchaus nachdenkliche Worte über eine kreative Sackgasse, auf welche die kontemporäre Musikkultur durch ihre pathologische Vergangenheitsfixierung in den 00ern zugesteuert wäre.
Den Rest des Beitrags lesen »

, , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , ,

3 Kommentare

Review: Aphex Twin – Syro [2014]

Aphex Twin - Syro| Erschienen bei Warp Records (2014) |

Wenn Richard D. James mittels seiner Musik eines am liebsten macht, dann ist es ganz sicher die Angewohnheit mit der Erwartungshaltung seiner Hörer zu spielen. Oder eine bestimmte Erwartungshaltung ähnlich wie Kollege Squarepusher erst gar nicht aufkommen zu lassen, indem man den Überraschungseffekt zum Aushängeschild macht – es kommt eben auf die jeweilige Sichtweise an. James ist ein stilistisches Chamäleon, das in nahezu genialischer Manier seinen eigenen Sound Metamorphosen noch und nöcher vollziehen lässt, geradezu spielerisch unterschiedlichen Strömungen Einlass in seinen Klangkosmos gewährt und gleichzeitig doch unverkennbar die eigenwillige Handschrift erkennen lässt. Unter seinen zahlreichen Pseudonymen widmete sich das unter Wunderkind-Verdacht stehende Schlitzohr schon in Teenagerzeiten nicht nur seinen berühmt gewordenen, traumwandlerisch ruhigen Elektroklängen („Selected Ambient Works 85-92“), sondern machte sich ebenfalls Formen des Industrial-Techno, Acid, Rave und Oldschool Breaks („Classics“) zu eigen; dazu kommen eine ganze Reihe wegweisender IDM-Veröffentlichungen („On“, „Hangable Auto Bulb“, „I Care Because You Do“ uvm.) mit universalem Meilenstein-Status. In den späteren 90ern prägte er maßgeblich die Entwicklung des Drill & Bass-Subgenres („Richard D. James Album“) und landete mit „Come To Daddy“ und „Windowlicker“ sogar zwei subversive Hits, bevor „Drukqs“ im Jahr 2001 als vorübergehendes Ende der Aphex-Ära die Musikgeschichte von vielen Jahrhunderten in einer herausfordernden Doppel-CD zu subsumieren schien. Doch auch danach ist der König der Soundtüftler nicht untätig, bringt unter dem AFX-Alias die „Analord-Serie heraus oder veröffentlicht inkognito als The Tuss exzellenten Braindance.

Die Erwartungen, um darauf noch einmal zurückzukommen, sie waren wohl bei noch keinem Aphex Twin-Album so hoch wie bei „Syro“. Immerhin hat sich James 13 Jahre Zeit für die Fertigstellung gelassen und die Öffentlichkeit weitgehend gescheut, um dann mit aufsehenerregenden PR-Tricks von Warp Records‘ Werbe-Abteilung die Aufmerksamkeit plötzlich wieder auf sich zu lenken. In der Zwischenzeit kokettierte James zu ausgewählten Anlässen damit, genug Material für mehrere Alben angehäuft zu haben, aber schlichtweg nicht in Release-Laune gewesen zu sein. So oder so, die Fallhöhe dürfte nicht geringer geworden sein. Doch all dieses Drumherum, die verblüffenden Marketingaktionen und doppelbödigen Interviews, sind vergessen und unwichtig, sobald der erste Ton von „Syro“ seinen Weg ins Ohr bahnt.

Dabei klingt der Nachfolger des labyrinthischen „Drukqs“ trotz der langen Veröffentlichungspause von Anfang an erstaunlich vertraut. Ein Eindruck, der fortan nicht mehr weichen wird. Diese verknoteten Rhythmen, seltsam entrückten Melodien und schrägen Basslinien – das kann nur ein Aphex Twin-Album sein. Moment mal! …war die unerwartete Komponente, diese Extradosis Wahnsinn, nicht eines der Markenzeichen? Stimmt, doch diesmal hat der gebürtige Ire offenbar keinen Generalangriff auf die allgemeinen Hörgewohnheiten vorgesehen. Stattdessen liefert er eine auffallend zurückhaltende, jedoch blitzsaubere Demonstration seines musikalischen Könnens ab, die weder den Hörer verstört noch großartige Stil-Modifikationen beinhaltet. Hyperaktive Ausbrüche sind eher die Seltenheit auf „Syro“, die Stücke in der Regel weit von Überfrachtung entfernt. Stattdessen scheint James die reduktionistische Schönheit der „Selected Ambient Works“ wieder für sich entdeckt zu haben, die er mit dem melodiös-treibenden AFX-Acid („Chosen Lords“) kombiniert. Das Ergebnis ist ein ausgeglichenes, kohärentes Werk: Ohne Frage verschroben, eigensinnig und weltvergessen, dabei aber so zugänglich wie lange nicht mehr.

Verträumte Synthie-Landschaften laden zum ausgiebigen Erkunden ein, natürlich nicht gänzlich ohne vertrackte Wegführung, Computer-Bleeps und das eine oder andere verrückte Detail am Wegesrand. Die Kompositionen scheinen vordergründig betrachtet nicht unbedingt fokussiert, doch erweist sich das auch gerade als eine Stärke von „Syro“. Aphex Twin arbeitet wie gewohnt nicht mit gewöhnlichen Spannungsbögen. Statt sich in dramaturgische Korsetts zu zwängen, lässt er den Sound fließen und sich entfalten, Altes verschwinden und Neues hinzukommen; ganz offen und grenzenlos. Selbst wenn die Veränderungen manchmal nur unscheinbar und verhalten sind – immer noch bringt er in wenigen Minuten mehr Ideen unter als manche anderen Künstler in einem ganzen Album.

Viele Tracks sind genau genommen nicht neu, sondern vor mehr als fünf Jahren entstanden, wie z.B. „XMAS_EVET10 [120][thanaton3 mix]“, dessen Livemitschnitt man sich als „Unreleased Metz Track“ schon seit geraumer Zeit im Netz anhören konnte. Und es ist der Musik durchaus anzuhören, dass sie größtenteils aus der Mitte der 2000er entstammt, was jedoch nicht negativ ins Gewicht fällt, denn die ausgefeilten Arrangements haben nach wie vor nichts von ihrer Faszination verloren. „4 bit 9d api+e+6 [126.26]“ hätte mit etwas mehr Lo-Fi-Appeal gefühlt auch vor fünfzehn bis zwanzig Jahren erscheinen können, nichtsdestotrotz nimmt man diese wohltuenden Höreindrücke liebend gerne mit. Wo sonst bekommt man schließlich derart leichtfüßige, in einzigartiger Erhabenheit strahlende und dennoch intellektuell bestechende Klangkunst geboten? Eben. „180db_ [130]“, das mit einfachen 4/4-Technobeats startet, wirkt eher wie ein ironischer Abgesang auf die Tanzmusik der 90er, wahrgenommen im Drogenrausch. Irgendwie scheint das Stück immer wieder beinah in sich zu kollabieren, aber degenerierte Rave-Fanfaren und Breakbeats bäumen sich mit letzter Energie dagegen auf. Es folgen ultrakomplexe Geniestreiche wie „CIRCLONT6A [141.98][syrobonkus mix]“, die man besser gar nicht mehr weiter kommentiert… Mit “PAPAT4 [155][pineal mix]” und “s950tx16wasr10 [163.97][earth portal mix]” haut der Chef-Exzentriker in der zweiten Albumhälfte doch tatsächlich noch mal mit handfesten Jungle-Rhythmen auf die Kacke, um die Platte anschließend mit den wundervollen Klavierakkorden von „aisatsana [102]“ leise, melancholisch und ergreifend simpel ausklingen zu lassen.

Manch einer wird das extreme Element oder neue Impulse vermissen. Wie vielerorts richtigerweise angemerkt wird, unterscheidet sich „Syro“ bis auf kleinere Akzentverschiebungen im Grunde wenig von dem, was James in den letzten zwei Dekaden fertiggebracht hat. Doch bevor man Britanniens vielleicht größten zeitgenössischen Musiker Rückwärtsgewandtheit vorwirft, sollte man sich klarmachen, dass die Klangwelt von Aphex Twin nie wirklich in der Gegenwart oder Zukunft verhaftet war, sondern sich trotz vieler Einflüsse seit jeher schon losgelöst von Raum und Zeit konstituierte. Auch beim Zusammenspiel der Melodien, Rhythmen und Geräusche auf „Syro“ hat man immer noch das Gefühl, mehr den Klängen von fernen Alienkolonien zu lauschen als denen einer menschlichen Vergangenheit. „Syro“ mag nicht so monumental ausufern wie „Drukqs“ oder so kompakt und verspielt wie das „Richard D. James Album“ daherkommen. Es ist einfach ein ziemlich gutes Album.

Tracklist:
01. minipops 67 [120.2] 
02. XMAS_EVET10 [120][thanaton3 mix] 
03. produk 29 [101]
04. 4 bit 9d api+e+6 [126.26]
05. 180db_ [130]
06. CIRCLONT6A [141.98][syrobonkus mix]
07. fz pseudotimestretch+e+3 [138.85]
08. CIRCLONT14 [152.97][shrymoming mix]
09. syro u473t8+e [141.98][piezoluminescence mix]
10. PAPAT4 [155][pineal mix]
11. s950tx16wasr10 [163.97][earth portal mix]
12. aisatsana [102]

, , , , , , , , ,

Ein Kommentar

Aus der Mottenkiste: DJ Crystl – Warpdrive (1993)

Die frühen bis mittleren 90er Jahre waren für britische Untergrundmusik eine Phase der Hochkonjunktur. Verschiedenste Stilrichtungen entstanden in kürzester Zeit, spalteten sich voneinander ab oder entwickelten sich weiter. Dieses kreative Chaos brachte u.a. Genres wie UK Breakbeat, Jungle und letztlich Drum & Bass hervor, was alles so rasant vonstatten ging, dass man schnell den Überblick verlieren konnte. Es ist da nur bezeichnend, dass der Musik selbst dieser Zeitgeist innewohnte, denn in der Regel war es das ungemein hohe Tempo, das die einzelnen Stile einte. Hochgeschwindigkeits-Beats, die sich achterbahngleich überschlugen oder im hyperaktiv getakteten Turnus für Zuckungen in Hirn und Körper gleichermaßen sorgten.

Zu den erwähnenswertern Vertretern dieser Ära darf, wenn nicht sogar muss, man DJ Crystl zählen, auch wenn dieser heutzutage sicher nur den eingefleischten Ravern von damals ein Begriff sein sollte.
Als erstes in den Kopf geschossen und für diese Rubrik vorgesehen, ist eigentlich das melodiöse Hardcore-Brett „The Dark Crystal“ (1993) gewesen, doch weil die digitale Verfügbarkeit derartiger Klassiker leider von eher kurzer Dauer und insgesamt sowieso recht begrenzt ist, musste ich auf ein anderes ‚Exponat‘ zurückgreifen: „Warpdrive“ aus dem selben Jahr ist aber in jedem Falle auch ein echtes Highlight der Jungle-Geschichte! DJ Crystl lässt seine selbst für Genreverhältnisse noch ungewöhnlich verdrehten Amen-Breaks losrollen und verknoten wie nichts Gutes, während das Stück früh von einer beinah psychotischen Spannung und unterschwelligen Dunkelheit getragen wird, ehe dann im weiteren Verlauf doch noch die Sonne aufsteigt und ein Stück meditativen Optimismus hineinbringt. Alt, aber niemals altgeworden!

, , ,

Hinterlasse einen Kommentar

Das kenn‘ ich doch irgendwo her… (1)

Es gibt sie, die gelegentliche Erinnerung beim Hören eines Musikstücks: „Hey, das kenn‘ ich doch“, also das gedankliche Brückenschlagen von Musik A zu Musik B. In dieser Rubrik wird jenes Phänomen künftig ein wenig anhand exemplarischer – und wie ich hoffe auch interessanter – Fälle beleuchtet werden. Dabei geht es mir natürlich nicht um lückenlose Quellenrecherche oder darum absurde Plagiarismusdebatten von vorvorgestern loszutreten. Im Gegenteil… hier soll es, ‚artsy‘ ausgedrückt, quasi ganz postmodernistisch um jegliche Form von musikalischen Querverweisen, Ähnlichkeitsbeziehungen und referentiellen Verknüpfungen gehen, ganz egal ob es sich dabei konkreter um einzelne musikalische Elemente wie Sounds und Samples handelt oder um rein spekulative Inspirationsquellen, die der jeweilige Künstler gehabt haben könnte.

Alte Kamellen – Volume 1 (inklusive Exkurs in wichtigtuerisches Kulturgefasel)

Das erste Beispiel hat seinen Ausgangspunkt in der Zeit um die vergangene Jahrhundertwende. Nachdem Drum & Bass Ende der 90er Jahre durch zunehmende Vermengung mit Elementen des Soul, Jazz und Chill Out immer salonfähiger, und damit auch tauglicher für Radio, TV und Lounges geworden war, flüchtete sich ein Teil der Szene in die Dunkelheit. Hart und roh sollte der Sound wieder werden, und nach Möglichkeit wieder in spärlich beleuchteten Underground-Clubs der britischen Großstädte stattfinden. Eine glückliche Fügung der Geschichte aus künstlerischer Sicht, die dem Genre längerfristig betrachtet zwar kaum kommerzielle Überlebenschancen garantierte, aber dafür eine überschaubare Menge an dystopischen Glanzlichtern wie etwa den Antimusik-Fatalisten von No U-Turn Records hervorbrachte, die bei all der futuristischen Finsternis für eine begrenzte Zeit besonders hell brannten.

In diesen Kreis lässt sich kaum ein anderes Kollektiv besser einordnen, als die vierköpfige D’n’B-Combo Bad Company. Erst 1998 gegründet, konnte sich die Formation mit einem reduktionistischen Stil aus drückenden, verzerrten Bässen, kantigen Drumloops und industriell-düsterer Atmosphäre schnell einen Namen machen. Techstep war das Stichwort. Das Exemplar, um das es hier gehen soll, stammt vom Genreklassiker „Inside the Machine“ (2000) und nennt sich „Nitrous“ (siehe Video unten). Der Track beginnt mit zwielichtigen, langgezogenen Synthietönen, anschließend setzen nacheinander Hi-Hats, Bass- und Snare Drum ein, bevor es ab ca. 01:05 Min. zu der eigentlich wichtigen Stelle kommt: Die mächtige, bedrohlich grollende Basslinie wird das erste Mal losgelassen und erst danach gesellen sich die rollenden Breaks dazu. Es ist dieser ungemein markante Basslauf, der hervorsticht und einen großen Teil des Reizes an diesem Stück ausmacht!

Bad Company waren zunächst enorm einflussreich, überschritten aber recht bald ihren Zenit und lösten sich 2005 endgültig auf. Mitglied Dj Fresh sollte einige Zeit später noch mit eher fragwürdiger Musik große kommerzielle Erfolge erzielen…

Mitte der 00er gilt Drum & Bass trotz stetiger Weiterentwicklung durch fortgeschrittene technische Möglichkeiten für eine breitere Öffentlichkeit mehr oder weniger als tot. Während einige schon mit den Nachrufen beginnen, werkelt ein gewisser Lynn Standafer derweil an seinen irrwitzigen, geradezu anarchischen Beats, die keinerlei Grenzen oder Dogmen zu kennen scheinen, außer dem Motto: Alles ist erlaubt. Unter dem Pseudonym Enduser betreibt der Amerikaner eine extreme, breakcore-lastige Spielart rhythmischen Sperrfeuers, die sich selbst in die mittlerweile weit entgrenzte Drum & Bass-Schublade nicht so einfach einsortieren lässt. Wie sich das für eine solche Strömung gehört, bedient er sich für die zumeist chaotischen, wüsten und apokalyptischen Outputs bei Richtungen wie Ragga, Dub, Hip Hop, Jungle, Hardcore Techno oder Post Industrial. Aber nicht nur da. „No Wisdom“ heißt der Track von Interesse auf „Bollywood Breaks“ (2004), das wohl nicht zufällig diesen Titel versehen bekommen hat. So startet das Viereinhalb-Minuten-Stück denn auch dank exotischem Geräuschfundament, verträumten Texturen und glockenhellen Backing-Vocalsamples sogar angesichts zerstückelter Jungle-Breakbeats noch vergleichsweise freundlich, als nach… nun ja, es sind tatsächlich wieder ca. 01:05 Minuten – und wer schlau ist, bei dem klingelt’s jetzt – der entscheidende Erinnerungsanker ausgeworfen wird: Richtig, es ist jene Monster-Basslinie, hier leicht verändert, die durch Mark und Bein geht und diesem Track seinen richtungsweisenden Punch verpasst!

Das waren zugegeben ein paar Umwege, doch was bleibt am Ende davon übrig? Viel Lärm um nichts? Möglich, ist ja auch so ein Gemeinplatz, dass sich Geschichte eben wiederholt. So findet das Relikt eines (vermeintlich) aussterbenden Genres zu seinem Nächstverwerter, dem Enduser. Selbigem möchte man ohnehin für die Wahl seines Pseudonyms mal wieder gedanklich High-Five geben, haucht der doch regelmäßig den alten Kamellen höchst gewieft neues Leben ein, bis man im Zitatedschungel endgültig den Durchblick verliert. Wobei es natürlich nur eine Frage der Zeit ist, wann auch das wieder recycelt, verfremdet, neu arrangiert oder rekontextualisiert wird, wenn es nicht eh schon längst irgendwo geschehen ist…

, , , , , , , , ,

4 Kommentare