Beiträge getaggt mit Bass Music

Highlights 2017: Die besten EPs

Manch einer ist ja der Überzeugung, dass die herkömmlichen Veröffentlichungsformate der Musiklabels mit der Digitalisierung obsolet geworden seien, wo doch jeder User sich längst auf Internetportalen bequem seine eigenen Playlisten zusammenklicken könne. Nun, ich bin da wenig überraschend etwas anderer Meinung, obwohl ich die neuen Möglichkeiten, die das Netz geschaffen hat, natürlich keineswegs in Abrede stelle – was als Blogger auch reichlich absurd wäre – und Playlisten können in der Tat eine feine Sache sein. Selbstredend stellen sich eine Menge spannender Fragen, etwa inwiefern sich das veränderte Konsumverhalten längerfristig auf die Strategien der Major-Plattenfirmen oder auf den Output von unabhängigen Künstlern auswirken wird… aber eine gründliche Auseinandersetzung muss an dieser Stelle erst einmal vertagt werden.

Beobachten lässt sich jedenfalls, dass der zeitliche Umfang der herausgebrachten Werke stärker variiert als noch früher. 30 Minuten oder 3 Stunden Laufzeit – egal, denn im digitalen Kontext bedeutet Überlänge keinen nennenswerten Mehraufwand. Einhergehend mit der aktuellen Koexistenz verschiedenster Formattypen und Absatzwege (CD, Vinyl, Stream/Download, Kassette, USB Drive,…) lösen sich die sowieso nie eindeutig gewesenen Unterschiede zwischen EP und Album zusehends auf. Vielleicht braucht es diese getrennten Kategorien in Zukunft gar nicht mehr. Mittellange Veröffentlichungen werden damit logischerweise nicht verschwinden, momentan ist sogar eher das Gegenteil der Fall. 2017 hatte einige starke Vertreter dieser Sorte zu bieten.

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Video: Monolog – I Will Return To You From The Abyss

In den letzten Wochen und Monaten glänzte dieser Blog ja vor allem mit der Abwesenheit neuer Beiträge. Nichts, so liest man immer wieder, fürchtet ein Schreiber mehr als das leere Blatt: Horror vacui. Stillstand. Rien ne va plus. Mehr noch: Nichts bewegt den Menschen im Innersten so sehr wie die Angst vor dem Nichts und der Nichtigkeit. Ganz gleich, ob man sie verdrängt oder ihr mit Introspektion begegnet – die Versuche sie zu überwinden sind es, welche den existentiellen Kern ausmachen. Eine Auseinandersetzung mit diesem universellen Menschheitsproblem ist so spannend wie im Grunde unabdingbar; logisch, dass sich Denker, Künstler, Kulturschaffende seit jeher daran abarbeiten.

Uneins ist man bisweilen über das Wesen respektive die Wesenslosigkeit dieses ominösen Angstbesetzers. Was nichts ist, kann nun mal nicht ohne weiteres dar- oder sich vorgestellt werden. Es verlangt geradezu danach, in irgendeiner Weise ausgefüllt zu werden, man behilft sich – das ist weniger paradox als es vielleicht scheint – also doch mit diversen Ausdrucksmitteln beziehungsweise illustriert stellvertretend für das Phänomen eben die Empfindungen, die es beim Individuum hinterlässt. Manch einer imaginiert den Fall ins Bodenlose, klaffende tiefschwarze Abgründe ins Nirgendwo. Da mag eine herbeifantasierte Unterwelt im Vergleich zur nagenden Ungewissheit fast (fast!) schon wieder etwas Erlösendes an sich haben.

Wie auch immer letztlich der Fall liegt, Monologs klanglich ausformulierter Beitrag lässt kaum Zweifel daran aufkommen, dass in jenen unbekannten Gefilden alles andere als Frieden zu erwarten sei – schon der Titel klingt ja wie eine Warnung an. Allerlei Sinistres füllt denn auch die Leerstellen zwischen den spärlichen, reverberierenden Drumschlägen… welche mitsamt dem ganzen Rest alsbald von einem infernalen Mahlstrom verschluckt werden. Chaos, Verderben und Gewalt statt gleichmütiger Stille.

»I Will Return To You From The Abyss« bringt in durchaus denkwürdiger Manier verschiedene Facetten aus dem Oeuvre des gewieften Soundarchitekten zusammen, welches zwischen verschachteltem Future Jazz und aggressivem Breakcore ein ohnehin nicht allzu kleines Feld umfasst. Sehr prägend erwies sich offenbar auch seine wiederholte Zusammenarbeit mit Swarm Intelligence, dessen Arbeiten einen ausgeprägten Sinn für dreckige Bässe, asymmetrische Rhythmen und beklemmend-tiefgängige Heavyness wiedererkennen lassen; aber auch roher Distortion-Krach der Sorte Emptyset liegt gar nicht mal so weit entfernt.

„Ich stand da zitternd vor Angst – und ich fühlte wie ein langer unendlicher Schrei durch die Natur ging.“ – Edvard Munch, Notiz aus dem Nachlass

Anders als die bösartig grollende Audiovorlage, die nicht nur im übertragenen Sinne den „Ton angibt“, sind die visuellen Begleitmotive für sich genommen eigentlich recht undrastisch ausgefallen. Das Gute am Musikvideo als Ausdrucksform ist ja, dass es weder auf das Geschichtenerzählen im herkömmlichen Sinne angewiesen ist, noch unbedingt einer verbindlichen Aufschlüsselung seiner eigenwillig anmutenden Codes und Symboliken bedarf. Ganz in diesem Sinne setzt No-oNs Clip auf Schwarz-Weiß-Bilder von düsteren Gewässern und wallenden Baumkronen, die hier zur Projektionsfläche werden für den identitätslosen Schrecken, der nur winzige Augenblicke lang beinah ein Gesicht zu bekommen droht. In diesem quasi expressionistischen Setting gewinnt die ungreifbare Bedrohung an unheilvoller Präsenz, ohne sich preiszugeben. Nervenzerrend zur Tonspur geschnitten, ruft das Video Lucrecia Dalts x These Hidden Hands‘ nicht minder fabehaftes »These Moments Dismantled« aus dem letzten Jahr in Erinnerung.

Projektionsflächen bietet die visuelle Ebene jedoch gleich in mehrfacher Hinsicht auf. So wie das Werk immer wieder Hauptmotive (Blätter im Wind, Wasser, Lichtreflexe) auf ihre Eigenschaften als Texturen zu reduzieren versucht, den vermeintlichen Naturphänomenen artifizielle Bearbeitungen unterzieht oder gar abstrakten geometrischen Objekten „überstülpt“ und diese damit als flache Binnenstrukturen zu erkennen gibt, zieht sie dem Betrachter den sprichwörtlichen Boden unter den Füßen weg. Wo man eben noch Tiefe wähnte, ist man einer Illusion aufgesessen, einer reinen Oberflächenerscheinung. Es gibt kein „Dahinter“ – Nichts.

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Mit seinem Monolog-Projekt ist Mads Lindgren derzeit äußerst gut beschäftigt. Neben »Conveyor« seinem kraftstrotzenden Longplayer-Debüt für Hymen Records, dem »I Will Return To You (…)« entstammt, hat er Anfang des Jahres mit »When The Clouds Roll By« auf Subtrakt ein Album mit für ihn typischen Drum’n’Bass-Tracks veröffentlicht. Ferner kollaborierte er mit Subheim für die ambitionierte EP »Conviction« (Denovali); zuletzt erschien im Juli die »Station 1805« EP mit Swarm Intelligence unter dem gemeinsamen Projektnamen Diasiva.

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Video: Swarm Intelligence – Iridescent

Die tüchtige Bildrecyling-Schmiede the29nov films beschert uns dieses kunstvolle Video zu »Iridescent« von Swarm Intelligence. Letztgenanntes Projekt hat ja kürzlich mit »Rust« sein drittes Album (bereits das zweite auf Ad Noiseam) veröffentlicht, dem auch dieses ausgeklügelte Stück entnommen wurde. Das toll anzusehende Formenspiel wäre für sich alleine betrachtet schon ein kleines Animationskunstwerk. Wahrlich erfrischend wird die Sache aber zusätzlich in der Kombination mit der vertrackt-technoiden Industrialmusik, die somit eine Bebilderung fernab jeglicher motivischer Klischees bekommt, welche sich in diesem Sektor angeboten hätten. Zweifarbig gehalten und diffus flimmernd, zwischen flächiger Abstraktion und symbolhafter Gegenständlichkeit (inklusive Anspielung auf den Schöpfungsmythos?) bruchlos übergehend, wird das Visual der Spannung seiner soundtechnischen Vorlage mehr als gerecht. Nebenbei gelingt es dem Video auch, den Spagat zwischen Synthetik und Organik widerzuspiegeln. Scheinbare Widersprüche zu vereinen ist schließlich der Trumpf des Ganzen: Mögen die metallischen, verzerrten Sounds schroff und lebensfeindlich anklingen, der Track geht einem doch irgendwie ganz nahe… ja, man ist fast geneigt zu sagen, durch den rostigen Eisenpanzer mitten ins verwundbare Herz.

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Heute ist morgen ist vorgestern – Gefangen in der Retroschleife?

Im von mir nicht sonderlich geschätzten (aber das ist ein anderes Thema) Online-Mag Noisey, schrieb Joe Zadeh kürzlich einen Artikel über aktuelle Tendenzen und die Zukunft der Popkultur, der mich im Nachgang doch mehr beschäftigte als zunächst angenommen. Entgegen meiner Erwartungen war ich nicht auf einen weitere unsägliche, gewollt auf hip und jugendlich getrimmte Ansammlung von Fast-Food-journalistischen Phrasen gestoßen, sondern auf im Ansatz durchaus nachdenkliche Worte über eine kreative Sackgasse, auf welche die kontemporäre Musikkultur durch ihre pathologische Vergangenheitsfixierung in den 00ern zugesteuert wäre.
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Review: Dryft – The Blur Vent [2014]

Dryft - The Blur Vent Cover[Erschienen bei n5MD (2014)]

Es ist die außergewöhnliche, transzendierende Fähigkeit der Musik, dass sie den Hörer an andere Orte bringen kann. Das Abgleiten in fremde Sphären, das Entfachen der menschlichen Vorstellungskraft und Sich-Verlieren in ihr ermöglicht wohl kaum eine andere Kunst in diesem Maße, zumindest wenn es sich denn um wirklich inspirierte Werke handelt.

Die Musik von Mike Cadoo zu hören, ist, als würde man eine Reise unternehmen und schlussendlich doch bei sich selbst ankommen, und zwar ganz tief im Inneren. In diesem Licht betrachtet, befindet sich der n5MD-Labelchef auf einer nicht enden wollenden Expedition an die Grenzen des menschlichen Wahrnehmungshorizonts, einer stetigen Suche nach den Spuren des auditiven Urknalls. Cadoo ist dabei Passagier, Kapitän und Reporter zugleich und jedes seiner Werke eine Dokumentation dessen. Ob in früheren Tagen als Hälfte des zu Recht gefeierten Ambient-Industrial-Duos Gridlock, das Klangprinzipien bis in die Molekularstrukturen zerlegte und zu überwältigenden sonischen Mosaiken verdichtete, oder unter seinem Bitcrush-Alias die Genregrenzen von Shoegaze, Post-Rock und sphärischer Electronica bis zur vollkommenen Ununterscheidbarkeit ineinanderfließen – Emotionen und Intellekt befinden sich hier immer zu gleichen Teilen in der Waagschale. Unter all den Klangforschern, Tonmathematikern und Soundingenieuren ist Cadoo ohne Zweifel der Geisteswissenschaftler.

Von dieser unermüdlichen und gefühlsgeleiteten Suche nach musikalischen Ausdrucksweisen zeugen insbesondere diverse Nebenprojekte: „Cell“ (2000), ein famoser Abstecher in dunkles Drum & Bass-Territorium, drückte dem zeitgenössischen Darkstep einen unnachahmlichen, noisigen Cadoo-Stempel auf, während die EP „The Mytotyc Exyt“ (2002) Glitch Hop und Breakbeats einverleibt, was abermals in einer ungemein originellen soundtechnischen Neuinterpretation seines individuell wiedererkennbaren Stils mündet. Weitere acht Jahre später erkundet das im Modus ‚New Age meets Industrial‘ daherkommende Downbeat-IDM-Meisterwerk „Ventricle“ (2010) mit majestätischer Langsamkeit und epischem Weitwinkel, was sich alsbald als zerklüftete Seelenlandschaften herausstellen sollte. Ein mehr als weiser Zug von Cadoo, all diese verschiedenen Artikulationswege paradoxerweise unter dem Künstlernamen Dryft zu bündeln. Schließlich entpuppt sich das eigentliche Nebenprojekt als vielleicht sogar bedeutsamstes künstlerisches Vehikel des Amerikaners.

Nun also „The Blur Vent“. Doch lassen sich die bisherigen Großtaten überhaupt noch toppen? Einer typischen Schneller-Höher-Weiter-Logik scheint das aktuelle Werk jedenfalls nicht zu folgen. Im Gesamteindruck wirkt das neue Material merklich zurückgenommener und ruhiger. Leise Drones eröffnen das Album in „Capsize Ctrl“. Dreieinhalb Minuten nimmt sich dieses Zeit für sein Intro, welches langsam an Kraft gewinnt und sich in wellenförmigen Texturen zwischenzeitig immer mal wieder kurz aufhellt und erneut abdunkelt. Dazu gesellen sich schmetternde Klänge in den Hintergrund, so als würden kleine Felsbrocken auf den Grund einer tiefen Schlucht aufschlagen. Mit unerwarteter Schnelligkeit plötzlich ein surrender Anstieg. Auf den Höhepunkt… Stille… dann der Einsatz eines seltsam metallischen, jeglicher Wärme beraubten Future Garage-Beats, der fortan von rumorenden Tiefbässen und subtilen Schmirgel-Synthies umgeben wird. Stattliche Harmonieflächen machen das Stück wenig später komplett, bevor selbiges ausklingt. Was sich in der Beschreibung durchaus bombastisch anhört, ist tatsächlich zwar ohne Frage eindringlich konstruiert, dabei jedoch auffällig bodenständig ausgefallen und entschieden mit Understatement produziert.

Eines der Elemente, die sich mit diesem Release im Sound von „Dryft“ geändert haben, sind die Beats, die weit weniger abstrakt, expressiv und lärmend klingen als noch in den früheren Veröffentlichungen. Der harsche Industrial-Aspekt wurde klar zurückgeschraubt und so hört man hier erstmals annähernd konventionelle Percussion-Sounds wie Claps, Kicks oder Hi-Hats, die sich mehr an Bass Music der vergangenen Jahre zu orientieren scheinen. Cadoo verzichtet damit zugunsten des Albumkonzepts auf ein liebgewonnenes Markenzeichnen. Eine andere Stärke hat er dagegen beibehalten, nämlich das Erzeugen von mehrdeutigen Stimmungsbildern. Binnen kürzerer Zeiträume mischt sich besorgniserregende Spannung mit leisem Optimismus, sodass man nie sicher sein kann, ob man sich entspannt zurücklehnen oder darauf einstellen sollte, dass die nächste depressive Welle schon anrollt. Ansonsten kennzeichnet „The Blur Vent“ vor allem der großzügige Einsatz von zahlreichen Halleffekten und drückenden Subbässen, die der Musik häufig den Anschein unterirdischer Herkunft verleihen, als stamme sie direkt aus einem Gewölbe oder Höhlenkomplex. Geisterhaft verfremdete Laute, die manchmal fast Choralcharakter erwecken, fließen in ihrer Verwendung ähnlich wie Texturen oder Melodien in die Instrumentierung ein. Bisweilen wird undurchdringlich, was hier ursprünglich menschliche Stimme gewesen ist und was synthetischer Sound, wodurch den Kompositionen eine quasi-unterbewusste Komponente zukommt. Das Zeitlupentempo der meisten Tracks tut sein Übriges, um zur speziellen, zwischenweltlichen Atmosphäre beizutragen.

Czyalon“, eines der eindrucksvollsten Stücke von „The Blur Vent“, setzt auf klirrende Reverb-Beats, unbarmherzig grollende Distortion-Basssounds und zwielichtige Synthesizer-Loops wie aus einem alten Carpenter-Streifen – und erzeugt so eine Unheimlichkeit und mystische Spannung, die sofort in ihren Bann zieht. Doch nicht alle Tracks sind derart düster ausgefallen. Überwiegend finden sich auf dem dritten Dryft-Longplayer eher ausgeglichene, zwischen Gelassenheit und leiser Melancholie mäandernde Instrumentalballaden („Blue Windows“, „Slow Jimmy“), die ihre wahre Tiefe erst nach mehrmaligem Hören enthüllen. Im sehnsuchtsvollen „These Walls“ wagt sich Cadoo sogar an Vocals, die sich erstaunlich gut in den Kontext einfügen und den Track beinah zu einer Dream Pop-Nummer werden lassen. Eine ordentliche Gänsehaut beschert später allerdings das gespenstisch schöne „Like Falling“, bevor der Titeltrack „The Blur Vent“ überraschend euphorisch und straight-forward ins Ziel bringt.

Auch wenn „The Blur Vent“ in Sachen Intensität nicht ganz an frühere Sternstunden wie Gridlocks „Formless“, Bitcrushs „Collapse“ oder den Vorgänger „Ventricle“ heranreicht, ist das neueste Werk wieder ein Kleinod hochemotionaler Musik. Wie so häufig bei Arbeiten mit echtem Tiefgang, benötigt auch „The Blur Vent“ mindestens drei Anläufe, um seine ganze Qualität preiszugeben. Cadoo gelingt es erneut, Strömungen der jüngeren Vergangenheit, in diesem Fall Witch House und Post-Dubstep, in sein Schaffen einfließen zu lassen und dennoch in jedem Moment seine ureigene Handschrift erkennen zu lassen. Der Mut zur Veränderung hat sich auch dieses Mal bezahlt gemacht.

Tracklist:
01. Capsize Ctrl
02. Czyalon
03. B.Prof
04. These Walls
05. Blue Windows
06. The Long Four (Extended)
07. Slow Jimmy
08. Like Falling
09. The Blur Vent

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Review: NOISIA – Purpose [2014]

purpose-ep-cover_600x600[Erschienen bei VISION Recordings (2014) / Artwork by Nik and Khomatech]

Beflissene Hörer wissen längst, dass unsere westlichen Nachbarn nicht nur Käse, Tulpen, Weltklasse-Fußballspieler oder aberwitzige Trash-TV-Formate in den Rest der Welt exportieren. Seit mehr als einem Jahrzehnt schon beglückt das unter dem Namen NOISIA firmierende Dreiergespann aus Groningen Anhänger bassgewaltiger Musik rund um den Globus mit ihrer speziellen Form der akustischen Starkstrom-Therapie. Einen Namen unter Kennern hat man sich Mitte der 00er vor allem mit unorthodoxem Drum & Bass machen können, wie man es bis dato nicht zu hören bekommen hatte. Dass die kontinentaleuropäische Institution des neumodischen Neurofunk ausgerechnet aus Holland, immerhin Hochburg von kommerziellem Großraum-Trance, Jumpstyle und anderen geschmacklich grenzwertigen  Kuriositäten, stammt, darf man getrost als außerordentlichen Umstand bezeichnen. 2010 veröffentlichen die Niederländer, denen man nachsagt in eine einzelne Basslinie mehr Facetten unterbringen zu können als manch eine Band in der gesamten Karriere, mit „Split the Atom“ ihr durchaus bemerkenswertes Debütalbum, das ein zugänglicheres und stilistisch vielfältigeres Soundspektrum präsentierte. Zuletzt tat sich das Trio am ehesten mit ihrer Soundtrack-Arbeit für „DmC: Devil May Cry“ hervor, sowie mit dem Kollabo-Projekt I am Legion, das den Höhepunkt in der symbiontischen Arbeitsbeziehung mit Britanniens Foreign Beggars darstellt.

Wer aber gedacht hat, dass NOISIA nach Ausflügen ins Trap-, Electro-House- und Dubstep-Genre oder Kollaborationen mit Mainstream-Acts wie den unsäglichen KoЯn an Schlagkraft und Kompromisslosigkeit eingebüßt haben, darf sich beim neuesten Werk eines Besseren belehren lassen: „Purpose“ liefert die erwünscht gnadenlose Schlachtpalette und knüpft beinah an die ungestüme Gewalt und dystopische Atmosphäre älterer Singles wie „The Tide“ (2005), „Exodus“ (2007) oder „Stigma“ (2008) an – eine Eigenschaft, die NOISIAs Schaffen übrigens niemals wirklich abhandengekommen ist.

Bereits ein Blick in die Feature-Liste verrät, dass hier um keinen Preis Gefangene gemacht werden, tauchen Namen wie Evol Intent, Prolix und Phace doch für gewöhnlich nicht in den Dance-Charts, sondern im Umfeld des bevorzugt dunklen und technoiden Drum & Bass auf. Eingeweihte wissen worauf sie sich gefasst machen müssen: Kein Beat purzelt ‚geradeaus‘ aus dem Speaker ohne Kollateralschäden zu verursachen, eingängige Four-to-the-Floor-Rhythmik ist verpönt und  klassische Melodien, so bekommt man immer wieder den Eindruck, gelten als Eingeständnis von Schwäche, weshalb sie bis in die Unkenntlichkeit verfremdet beziehungsweise höchstens dazu verwendet werden, um zwischendurch für düstere Stimmung zu sorgen. Ansonsten regieren grummelige Bassfiguren und bis zum Exzess verzerrte elektronische Klanggeburten, die zu eindringlichen Cyberpunk-Collagen mit eigenartigen Groove-Qualitäten verdichtet werden. Es ist das Zelebrieren einer gewissen – wenn man so möchte – Anti-Musikalität, die spätestens seit dem legendären No U-Turn-Label eine Tradition bildet und in der digitallastigen Folgezeit eine nahezu paradigmatische Wendung in Richtung Technikfetischismus vollzogen hat. NOISIA, selbst entscheidend beteiligt  an diesen Entwicklungen, erschüttern diese Konventionen des Subgenres mit „Purpose“ natürlich nicht mehr in ihren Grundfesten. Nach wie vor liefern sie jedoch ein technisch brillantes Neuro-Brett mit gewohnt starkem Sound-Design. Und selbstverständlich zielt ihre wenig massentaugliche Ingenieurskunst auch vornehmlich auf die Beine, ohne sich von der finsteren Maschinenästhetik zu entfernen – beides geht in natürlich erscheinender Weise Hand in Hand. Mal berserkergleich mit Brutalo-Drums, dann wieder introvertierter und den Fokus auf futuristische Klangwelten direkt aus der Computerhölle legend, oszilliert das Release zwischen dreckig-brachialer Darkstep-Energie und kalt-synthetischem Neurofunk, der sich sicher als gute Ergänzung zur William Gibson-Lektüre eignet. Umso erstaunlicher, dass die zwei stärksten Tracks die normalerweise fließend verlaufenden Grenzen wieder zu polaren Extremen aufrichten, da sie jeweils für sich prototypische Exemplare einer Stilrichtung darstellen. „Running Blind“ begeistert schon beim Intro mit einem eigenwilligen Doppelbeat-Inferno, das einen ähnlich schädelsprengenden Effekt bewirkt wie schon einst der Spannungsaufbau im Nu-School-D’n’B-Klassiker „Stigma“. Anschließend werden grimmig rollende Beats losgelassen – angenehm altmodisch, aber natürlich State-of-the-Art produziert! „Long Gone“ wiederum kredenzt eine kühne Midtempo-Zukunftsvision mit paranoidem Tenor, gibt den Melodien und Sounds trotz slammender  Drums viel Raum zur Entfaltung. Ich lehne mich bestimmt nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich NOSIA und Evol Intent hier nicht weniger als ein Neurofunk-Meisterwerk bescheinige…

Wie eigentlich immer in diesem Subgenre wird sich auch „Purpose“ vermutlich den Vorwürfen von Außenstehenden aussetzen müssen, nicht nur eintönig und melodiearm zu sein, sondern auch wahlweise wie das Liebesspiel zweier Roboter oder wie der Mitschnitt einer Alien-Radiostation zu klingen. All das erscheint diskutabel, ändert aber nichts daran, dass NOISIA abermals das richtige Material bereitstellt, um sich stilvoll mit abgespaceten Beats aus der Umlaufbahn zu schießen.

Tracklist:
01. Oh Oh
02. Purpose (feat. Phace)
03. Running Blind 
04. Shaking Hands
05. Asteroids (feat. Prolix)
06. Long Gone (feat. Evol Intent) 
07. Stamp Out
08. Leopard Slug

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Video: Niveau Zero – The Cross (feat. Aucan)

So, heute ist mal wieder Archivware angesagt, die ein wenig mehr Verbreitung verdient! Aus dem letzten Jahr stammt dieses düstere und unheilvolle Video zu Niveau Zeros brillantem Track „The Cross (feat. Aucan)“ vom 2012er Album „Jasmine„. Gerade durch den recht langen Prolog hat der Clip unzweifelhaft etwas Kurzfilm-artiges. Drohend-beunruhigende Stimmung kommt früh auf, wenn sich die mysteriösen Melodien und verschobene Rhythmik des französischen Dubstep-Grenzgängers ungemein athmosphärisch mit den tristen, blassen Bildern und das aufziehende Dunkel suggestiv andeutenden Plot-Elementen verbinden. Dennoch bricht dieser dann durchaus unvermittelt los. Viel mehr soll aber an dieser Stelle gar nicht verraten werden… Nur so viel: Das Gezeigte hat apokalyptischen Charakter, eine Ladung Intensität und bleibt für verschiedene Deutungen offen. Ich musste an den bekannten Filmspruch denken: „Einige Menschen wollen die Welt einfach nur brennen sehen„. Für ein Low-Budget-Video mehr als beachtlich!

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Broken Note – Black Mirror MixTape

Broken Note veröffentlichen ja in wenigen Tagen ihre „Black Mirror EP“ (ich hatte bereits darüber geschrieben). Dem Release schicken sie nun ein aggressives Mixtape voraus, das man sich auf Soundcloud anhören kann. Gut eine Dreiviertelstunde voller heftiger und dreckiger Beats, die klar machen, was man demnächst zu erwarten hat…

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