Beiträge getaggt mit Hymen Records

Video: Monolog – I Will Return To You From The Abyss

In den letzten Wochen und Monaten glänzte dieser Blog ja vor allem mit der Abwesenheit neuer Beiträge. Nichts, so liest man immer wieder, fürchtet ein Schreiber mehr als das leere Blatt: Horror vacui. Stillstand. Rien ne va plus. Mehr noch: Nichts bewegt den Menschen im Innersten so sehr wie die Angst vor dem Nichts und der Nichtigkeit. Ganz gleich, ob man sie verdrängt oder ihr mit Introspektion begegnet – die Versuche sie zu überwinden sind es, welche den existentiellen Kern ausmachen. Eine Auseinandersetzung mit diesem universellen Menschheitsproblem ist so spannend wie im Grunde unabdingbar; logisch, dass sich Denker, Künstler, Kulturschaffende seit jeher daran abarbeiten.

Uneins ist man bisweilen über das Wesen respektive die Wesenslosigkeit dieses ominösen Angstbesetzers. Was nichts ist, kann nun mal nicht ohne weiteres dar- oder sich vorgestellt werden. Es verlangt geradezu danach, in irgendeiner Weise ausgefüllt zu werden, man behilft sich – das ist weniger paradox als es vielleicht scheint – also doch mit diversen Ausdrucksmitteln beziehungsweise illustriert stellvertretend für das Phänomen eben die Empfindungen, die es beim Individuum hinterlässt. Manch einer imaginiert den Fall ins Bodenlose, klaffende tiefschwarze Abgründe ins Nirgendwo. Da mag eine herbeifantasierte Unterwelt im Vergleich zur nagenden Ungewissheit fast (fast!) schon wieder etwas Erlösendes an sich haben.

Wie auch immer letztlich der Fall liegt, Monologs klanglich ausformulierter Beitrag lässt kaum Zweifel daran aufkommen, dass in jenen unbekannten Gefilden alles andere als Frieden zu erwarten sei – schon der Titel klingt ja wie eine Warnung an. Allerlei Sinistres füllt denn auch die Leerstellen zwischen den spärlichen, reverberierenden Drumschlägen… welche mitsamt dem ganzen Rest alsbald von einem infernalen Mahlstrom verschluckt werden. Chaos, Verderben und Gewalt statt gleichmütiger Stille.

»I Will Return To You From The Abyss« bringt in durchaus denkwürdiger Manier verschiedene Facetten aus dem Oeuvre des gewieften Soundarchitekten zusammen, welches zwischen verschachteltem Future Jazz und aggressivem Breakcore ein ohnehin nicht allzu kleines Feld umfasst. Sehr prägend erwies sich offenbar auch seine wiederholte Zusammenarbeit mit Swarm Intelligence, dessen Arbeiten einen ausgeprägten Sinn für dreckige Bässe, asymmetrische Rhythmen und beklemmend-tiefgängige Heavyness wiedererkennen lassen; aber auch roher Distortion-Krach der Sorte Emptyset liegt gar nicht mal so weit entfernt.

„Ich stand da zitternd vor Angst – und ich fühlte wie ein langer unendlicher Schrei durch die Natur ging.“ – Edvard Munch, Notiz aus dem Nachlass

Anders als die bösartig grollende Audiovorlage, die nicht nur im übertragenen Sinne den „Ton angibt“, sind die visuellen Begleitmotive für sich genommen eigentlich recht undrastisch ausgefallen. Das Gute am Musikvideo als Ausdrucksform ist ja, dass es weder auf das Geschichtenerzählen im herkömmlichen Sinne angewiesen ist, noch unbedingt einer verbindlichen Aufschlüsselung seiner eigenwillig anmutenden Codes und Symboliken bedarf. Ganz in diesem Sinne setzt No-oNs Clip auf Schwarz-Weiß-Bilder von düsteren Gewässern und wallenden Baumkronen, die hier zur Projektionsfläche werden für den identitätslosen Schrecken, der nur winzige Augenblicke lang beinah ein Gesicht zu bekommen droht. In diesem quasi expressionistischen Setting gewinnt die ungreifbare Bedrohung an unheilvoller Präsenz, ohne sich preiszugeben. Nervenzerrend zur Tonspur geschnitten, ruft das Video Lucrecia Dalts x These Hidden Hands‘ nicht minder fabehaftes »These Moments Dismantled« aus dem letzten Jahr in Erinnerung.

Projektionsflächen bietet die visuelle Ebene jedoch gleich in mehrfacher Hinsicht auf. So wie das Werk immer wieder Hauptmotive (Blätter im Wind, Wasser, Lichtreflexe) auf ihre Eigenschaften als Texturen zu reduzieren versucht, den vermeintlichen Naturphänomenen artifizielle Bearbeitungen unterzieht oder gar abstrakten geometrischen Objekten „überstülpt“ und diese damit als flache Binnenstrukturen zu erkennen gibt, zieht sie dem Betrachter den sprichwörtlichen Boden unter den Füßen weg. Wo man eben noch Tiefe wähnte, ist man einer Illusion aufgesessen, einer reinen Oberflächenerscheinung. Es gibt kein „Dahinter“ – Nichts.

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Mit seinem Monolog-Projekt ist Mads Lindgren derzeit äußerst gut beschäftigt. Neben »Conveyor« seinem kraftstrotzenden Longplayer-Debüt für Hymen Records, dem »I Will Return To You (…)« entstammt, hat er Anfang des Jahres mit »When The Clouds Roll By« auf Subtrakt ein Album mit für ihn typischen Drum’n’Bass-Tracks veröffentlicht. Ferner kollaborierte er mit Subheim für die ambitionierte EP »Conviction« (Denovali); zuletzt erschien im Juli die »Station 1805« EP mit Swarm Intelligence unter dem gemeinsamen Projektnamen Diasiva.

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Review: Hecq – Mare Nostrum [2015]

Hecq - Mare Nostrum (Hymen Rec.)| Erschienen bei Hymen Records (2015) / Cover artwork by beeple |

2013 reiste Ben Lukas Boysen alias Hecq auf Einladung der Polytechnischen Universität Kataloniens nach Barcelona, um Tonaufzeichnungen des Supercomputers MareNostrum zu machen, welcher von Glas und Eisen umhüllt in einer ausgemusterten Kapelle betrieben wird. Mit Induktionsmikrophonen ausgerüstet, die für den Menschen praktisch kaum wahrnehmbare Betriebsgeräusche auf ein hörbares Level verstärken können, brachte er circa zwei Stunden im Innern der eindrucksvollen Anlage zu. Aus den Ergebnissen dieser äußerst ungewöhnlichen Aufnahmesession entstand durch Post Production der Soundsamples ein nicht minder ausgefallenes Album, das auf zusätzliche Instrumente oder andere Klangerzeuger bewusst verzichtet.

»Mare Nostrum « besteht aus vier Stücken, die sich alle jeweils knapp unter der 20-Minuten-Marke einpendeln. Es ist ohne Zweifel eines der ambitioniertesten Projekte von Boysen, dessen Talent, Ehrgeiz, Neugier und Wagemut ihn längst in eine Reihe mit Größen wie Richard D. James befördert haben. Seine Werke konsumiert man nicht beiläufig, sie müssen durchdrungen, gefühlt und erfahren werden. Besondere Größe beweist er hier jedoch, in dem er sich selbst als Künstler noch stärker zurücknimmt und dem titelgebenden Hochleistungsrechner zum Dreh- und Angelpunkt macht, ihm quasi ein klangliches Denkmal setzt: Es summt, knattert, fiept und rauscht. Von der Herangehensweise ist dies durchaus mit der – falls man diese Formulierung gelten lassen möchte – ‚Tradition‘ der Musique concrète zu vergleichen, auch wenn die fertigen Tracks dann doch anders klingen. Vor allem aber oft ähnlich schwer zugänglich. Als Hörer wird man insgesamt relativ wenig an die Hand genommen. Sogar manch IDM- oder Ambient-Connaisseur dürfte da zunächst mal skeptisch die Augenbrauen hochziehen und gelegentlich mit seiner Aufmerksamkeit etwas abschweifen (obwohl auch das gerade bei atmosphärischen Klängen durchaus mal erlaubt sein sollte).

»Mare Nostrum« basiert auf Field Recordings, jedoch wirkt diese Kategorisierung hierbei im gleichen Zuge fast wieder absurd, da die Aufnahmen an einem so abgeschlossenen, sterilen Ort unter streng kontrollierten Bedingungen stattfanden, wo außerdem nichts im üblichen Sinne als ‚natürlich‘ bezeichnet werden könnte, sondern lediglich Algorithmen – Achtung, Wortspiel! – den Ton angeben. Hört man jedoch genau hin und fokussiert die Geräuschskulpturen, so scheinen sich doch ganze Welten im Inneren des synthetischen Gebildes zu verbergen. Manche davon sind befremdlich oder sogar beunruhigend, andere dagegen haben auch harmonische Untertöne und wirken auf eine seltsame Art und Weise beinahe majestätisch. Während bei »I« etwa noch ein Sturm zu toben scheint, kehrt bei »IV« eine behagliche Geschäftigkeit ein. Diese Welten zu entdecken erfordert jedoch Geduld. Am besten nähert man sich dem Werk entweder hellwach oder alternativ dazu – auch wenn dies zunächst paradox klingen mag – im Zustand konzentrierter Müdigkeit, wenn auditive Reize noch viel intensiver erscheinen als gewöhnlich. Es ist im wahrsten Wortsinn das Innenleben des Computers, das zum Klingen gebracht wurde. Eine eigene Sprache, die erst einmal verstanden werden muss und von Hecq behutsam übersetzt wurde. Natürlich ließen sich die Stücke – um ein altes Klischee zu bemühen – womöglich ebenso erfolgreich als meditatives Hintergrundrauschen anwenden. Mit solch einer an Muzak-hafte Zweckgebundenheit anschließenden Rezeptionshaltung ist der Tiefe der Produktion (wie im Übrigen auch bei den allermeisten experimentellen Ambientwerken) aber gewiss nicht beizukommen.

Neben einem anspruchsvollen Hörerlebnis regt das Albumkonzept zu theoretischen Fragestellungen an: Wer musiziert hier, ist es der Computer, Ben Lukas Boysen oder sind es beide zusammen? Für den Musikgenuss kann man derartige Diskursangelegenheiten selbstverständlich als untergeordnet betrachten. Ohne Frage schien es dem Oldenburger aber darum gegangen zu sein, eine gewisse ‚Authentizität‘ der Situation zu wahren. MareNostrum ist eine gigantische Blackbox und er hat sie ein Stück weit öffnen können. Wo äußerlich Kühle und Bewegungslosigkeit vorherrschen, lauert in silico Dynamik und Leben. In einem Interview beschrieb Boysen, wie sehr er von der speziellen Atmosphäre des Ortes eingenommen gewesen ist, an dem das Sakrale eines Gotteshauses auf die säkularisierte Moderne trifft, wie sie durch die Ratio der Rechenmaschine nicht besser hätte repräsentiert werden können. Hecq ist es gelungen, die einzigartige Kombination der beiden nur scheinbar gegensätzlichen Pole auf subtile Weise einzufangen.

Tracklist:
01. I
02. II 
03. III
04. IV 

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Preview: Hecq – Mare Nostrum

Egal ob IDM, Ambient, Dubstep, D’n’B, Kontemporärklassik oder Filmmusik – Ben Lukas Boysen alias Hecq ist ein Meister unterschiedlicher Disziplinen und gehört im Moment zweifelsohne zu den begnadetsten Musikschaffenden Deutschlands. Sein Portfolio umspannt kontemplative Ruhe ebenso wie clubbige Energie und experimentelle Soundskulpturen – gerne auch alles auf einmal! Das neueste Release führt den in Berlin lebenden Allrounder mal wieder in den Bereich sublimer Avantgarde-Geräuschkunst. Genauer gesagt, begann die Arbeit an »Mare Nostrum« aber schon im Jahre 2013, als Boysen sich nach Barcelona begab, um Audioaufnahmen des Super-Computers zu machen, welcher dem Werk nun seinen Titel gibt: eine imposante, äußerst leistungsfähige Rechneranlage, die in einer alten Kapelle untergebracht ist und von einer fünf Meter hohen Eisen- und Glaskonstruktion umgeben wird. Die Aufnahmen seiner Betriebsgeräusche sollten den Kern der Kompositionen bilden, die Hecq anschließend produzierte. Eine faszinierende Idee! Ob die Umsetzung gelungen ist, kann man demnächst selbst herausfinden, denn »Mare Nostrum« erscheint schon am 10. Februar. Ein Preview gibt es aber bereits auf Soundcloud zu hören:

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