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Video: Mark Pritchard – Sad Alron

Da hat es sich doch wirklich gelohnt, mal wieder bei Warp Records vorbeizuschauen – obwohl es zugegebenermaßen einige Sekunden bei mir gedauert hat, bis sich aus dem diffusen Grübeln à la „der Name kommt mir bekannt vor“ eine eindeutige Assoziation herausschälen konnte. Mark Pritchard ist mir bis dato lediglich als die eine Hälfte des inzwischen lange zurückliegenden Projekts Global Communication, auf welches der unsterbliche Downtempo-/Ambient-Techno-Meilenstein »76:14« von 1994 zurückgeht, zu Ohren gekommen. Eine denkbar einfache 10-Sekunden-Recherche ergibt, dass der gute Mann aber in den letzten zwei Dekaden äußerst aktiv gewesen ist und beständig Werke veröffentlicht hat. Spätestens an dieser Stelle wird die eigene Bildungslücke eklatant… Shame on me!

Nun ja, »Sad Alron«, um dies schon mal vorwegzunehmen, liefert mehr als überzeugende Argumente dafür, Pritchards Back-Katalog zumindest mal einer Stippvisite zu unterziehen. Ein faszinierendes Kleinod, diese Komposition! Jonathan Zawadas zugehörige Bilder sind ferner ein wahrer Glücksfall, da sie die evokative Magie des Ausgangswerks nicht entzaubert, sondern im Gegenteil noch dessen enigmatische Strahlkraft multipliziert! Keine drei Minuten lang ist die audiovisuelle Symbiose, doch durchaus epochal. Bild und Ton wirken dabei wirklich wie füreinander geschaffen. Langsame Kamerafahrten durch (teil)colorierte Canyons mit wechselfarbenem ‚Himmelszelt‘, knallbunte geometrische Objekte, irreale Gesteinsformationen und stakkatoartiges Morphen des Horizonts entführen in ein fantastisches Terrain, das niemals einem bedeutungsschwangeren Bombast anheim zu fallen droht.

Es liegt natürlich nicht fern, angesichts des Szenarios an »2001: Odyssee im Weltraum« zu denken, jedoch tummelt sich Zawadas Clip ebensowenig im überfüllten Pastiche-Planschbecken der Kubrick-Kopisten (das gibt 10 Gummipunkte auf’s Alliterationskonto!). »Sad Alron« bleibt ähnlich rätselhaft, erscheint aber zugleich auch unverbindlich, sodass es problemlos auf ästhetischer Ebene für sich selbst stehen kann, ohne den semantischen Ballast einer Entschlüsselung zu bedürfen. Auf musikalischer Ebene blitzt indes die »76:14«-Grandeur unverkennbar auf. Vormerken sollte man sich den 12. Mai, dann kommt nämlich Pritchards Album »Under The Sun« in den Handel.

 

 

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Review: Squarepusher – Damogen Furies

Squarepusher - Damogen Furies (Cover)| Erschienen bei Warp Records (2015) / Cover photography by Timothy Saccenti |

Tom Jenkinson ist kein Freund von Kategorisierungen. Dies pflegt er in Interviews gern und oft zu betonen. Vielleicht gilt der Brite hinter dem Squarepusher-Alias ja gerade deswegen bei vielen Journalisten als ernster, etwas grummeliger und eigenbrötlerischer Zeitgenosse, der die obligatorischen Pressetermine eben nicht zu oberflächlichen Feel-Good-Veranstaltungen verkommen lassen will. Eine nonkonforme Haltung, die sich auch in der vielfältigen, durchaus von Humor zeugenden, Diskographie wiedererkennen lässt und den Fachmedien regelmäßig Mühen bereitet. Kaum haben Kritiker nämlich eine Schublade (Drill & Bass, Jazz Fusion Breakbeat etc.) ausgesonnen, markiert Jenkinson den Spielverderber und ändert mit dem nächsten Release die Kursrichtung. Mit Warp Records, einer Institution, die sich bestens mit unangepassten Typen (Oneothrix Point Never, Flying Lotus, Aphex Twin,…) auskennt, hat der Klötzchenschieber einen Heimathafen gefunden, der ihm seit den späten 90ern praktisch freie Handhabe beim Nachgehen manischer Alleingänge gewährt, was dann idealerweise Meisterwerke wie »Hard Normal Daddy« oder »Ultravisitor« nach sich zieht. Eine Arbeitsbasis, die auch für die Entstehung des 2015er Outputs eine überaus zentrale Rolle gespielt haben muss.

Die Verwirrung beginnt diesmal bereits beim Inspizieren der CD-Verpackung, denn das Frontcover mit Jenkinsons digitalverzerrtem Konterfei verrät mir nicht auf Anhieb, wo hier eigentlich oben und unten sein sollen. Auch die beim Aufklappen der Kartonhülle sichtbaren Hilfspfeile vermögen derartige Orientierungsprobleme nicht wirklich zu beseitigen, führen aber immerhin schrittweise zum schwarzbedruckten Datenträger, der sich optisch kaum von seiner Peripherie abhebt. Das Design stellt ein getreue Spiegelung des verdrehten Bastards dar, als der sich dieses »Damogen Furies« erweisen sollte, jedoch täuscht das extrem minimalistische Schwarz-Weiß wiederum ob der wilden Auswüchse und akustischen Farbspielereien, die sich in der ‚Blackbox‘ verbergen.

Opener »Stor Eiglass« prescht mit deftigen Schlägen vor, die die Wände zum Wackeln bringen, etabliert aber bald darauf quietschige, durchaus zum Mitsummen geeignete Melodien aus dem Rechner – Kontraste, die schon der direkte Vorgänger »Ufabulum« aufzuweisen wusste. Im Laufe des Viereinhalbminüters werden die synthetischen Rhythmen zu einem zunehmend diffizilen Datengeflecht zurechtgezwirbelt. Bis hierhin verläuft trotzdem noch alles in vergleichsweise geregelten, weitgehend nachvollziehbaren Bahnen und wenn man dabei leichten Plastikgeruch vernehmen sollte, dann liegt das womöglich daran, dass Mr. Unbequem seinen Einstiegstrack als „Trojan Horse“ für jungfräuliche Gehörgänge ausgetüftelt hat. Richtig los geht es dann erst mit »Baltang Ort«, das mit seiner Verquickung von prachtvollen Flächen und unwirschen Beatfraktalen eine ähnlich tragende Rolle einnimmt wie seinerzeit ‘Pusher-Klassiker »Tundra« auf dem Debütalbum »Feed Me Weird Things« (1996). Nur gerät es vom Ausdruck her weitaus artifizieller und gröber als der ziemlich feingliedrige Jungle-Parcours aus alten Tagen, denn letzterer wird hier durch extragrantige Acid-Einspritzungen und kalte Computerdrums ersetzt. Puh, was ein erhebender Stress das doch ist! Aber wo bleibt der Mindfuck!?

Ein Blick ins Booklet mit einem erklärenden Statement des Künstlers verrät schon mal die Besonderheit der Machart: Alle zu hörenden Sounds entstammen eigenprogrammierter Software, die Jenkinson über viele Jahre hinweg entwickelt hat. Außerdem wurden sämtliche Tracks in einem zusammenhängenden Take ohne nachträgliche Bearbeitung aufgenommen. Irgendwie fast schon kämpferisch klingt dabei seine Proklamation des Wegs des größtmöglichen Widerstandes wie auch das Anliegen, sich von Konsumzwängen freizumachen. Ist Squarepusher damit Gegner einer Kulturindustrie, dessen Teil er unweigerlich selber darstellt? In gewisser Weise ja, doch hierbei geht es ihm merklich weniger um das altbekannte Argument gegen die kommerzielle Verwertung von Musikwerken, als – viel basaler – um die Mittel, die ihrer Entstehung vorausgehen: Instrumente, Hard- und Software. Geräte und Klangerzeuger von der Stange schränken die kreativen Möglichkeiten ein, determinieren zu einem gewissen Grad ihre Nutzungsweisen, so der Gedanke. Sein entschiedener DIY-Approach ist aber auch ein klares Zeichen gegen die Preset- und Readymade-Mentalität des sogenannten ‚EDM‘-Mainstreams der letzten Jahre, dessen Baukasten-Produktionen mit der progressiven, tüftlerischen Essenz der elektronischen Musik denkbar wenig zu tun hätten.

Hektisch, laut und eigenwillig ist »Damogen Furies« ohne Zweifel über weite Strecken, wie auch schon viele Squarepusher-Platten zuvor, doch die Direktheit, mit der die meisten aktuellen Kreationen ins Gesicht ballern, liefert dann doch ein paar Argumente dafür, sein Treiben tatsächlich als eine schräge Art von individualistischer Protestmusik zu begreifen. Nicht in plumpen Parolen, jedoch in eisigen Glitches, Strobo-Breaks und kakophonen Eruptionen findet diese ihren Ausdruck. »Rayc Fire 2«, schrill und kompromisslos, als Single vorab zu vermarkten, bleibt da nur ein kleines Kuriosum mit Randnotizcharakter, schließlich dürfte sich der Kreis derjenigen, die sich von dem tollen Digitalkrach mit Breakcore-Anleihen zum Albumkauf verleiten lassen auf eine relativ überschaubare Anzahl von Musiknerds begrenzen. Das fantastisch rabiate »Kwang Bass« lärmt dunkel und metallisch, beinahe schon mit futuristischem Industrial-Touch; »Exjag Nives« hingegen steigert sich in ein wüstes, ultraverknotetes Drum & Bass-Gefrickel hinein – bekanntermaßen ja ein Feld, auf dem ihm sowieso nur wenige die Stirn bieten können.

Genauso wie die gerade umher geworfenen Genrebegriffe stets nur das Dilemma aufzeigen, dass bei der Beschreibung der Kompositionen entsteht, bleibt die härtere Gangart auch nie bloßes Muskelspiel, sondern hat häufig einen verspielten Charakter. Das expressive Chaos scheint gerade mit dem Bezug zu stereotypen Mustern Sinn zu erhalten. Man nehme etwa »Kontenjaz«, das in seinem Mittelteil kurzzeitig mit gleichmäßigem 4/4-Takt inklusive übertrieben ‚catchy‘ Harmonien überrascht. Doch gerade wenn man denkt, Jenkinson schalte endgültig in den Party-DJ-Modus, treffen einen wieder krachende Beats, die zeigen, was Sache ist. Rein klangästhetisch hat das hier Gebotene ungeahnte Überschneidungen mit den Neonkirmesbespaßern aus dem gegnerischen Lager, doch umso gnadenloser zerschreddert er deren Motive, zerstört bekannte Strukturen, um sie in unorthodoxer Manier neu zu überschreiben. Aus streng reglementiertem Exzess wird ein sich frei entfaltendes Formgemenge. Eine geistige Verwandtschaft zum Free Jazz ist auch diesmal nicht zu verleugnen, die gelungenen melodischen Passagen (»D Frozent Aac«, »Exjag Nives«) hingegen sorgen für das kompositorische Gegengewicht. Der gespaltene Wesenszug ist es, der diese LP trotz aller idiosynkratrischen Ausraster auf gewisse Weise recht zugänglich macht.

Dahinter kann man Kalkül vermuten, tatsächlich lässt sich solch Herangehensweise aber wohl passender mit dem Faktor Eigensinn erklären. „Der Weg ist das Ziel“ galt schon immer für Jenkinsons Ethos, es geht um Risikofreude und das Vermeiden von Routine um jeden Preis. Bloß nicht eine von diesen greisen Rock-Mumien werden, die ihre schalen Hymnen in gefühlter Endlosschleife durch die Stadien krakeelen, ehe man ihnen (zur Bestrafung?) am Schluss noch ein Musical widmet, in der Hoffnung sie würden zum Wohle der Menschheit endlich in Rente gehen. Natürlich bleibt es fraglich, ob die hier bewusst forcierten Unterschiede im Produktionsprozess für den Hörer am Ende überhaupt noch in gleicher Weise greifbar sind wie für den Komponisten. Squarepushers Ansatz ist weniger der ‚Klangforschung‘ verpflichtet als – wenn man es hart ausdrücken möchte – seinem Künstlerego. Alles in allem ist »Damogen Furies« gewiss nicht ‚groundbreaking‘, in der falschen Gemütslage sogar ein anstrengendes Unterfangen, da es konstant auf maximaler Drehzahl powert. Und dennoch stellt es den gelungenen Beweis dar, dass dieser unkonventionelle Musiker auch nach 20 Jahren im Business immer noch sich selbst und das Publikum herauszufordern weiß und unter dieser Prämisse im Stande ist, wahrhaft Spannendes zu fabrizieren.

Tracklist:
01. Stor Eiglass
02. Baltang Ort  
03. Rayc Fire 2  
04. Kontenjaz
05. Exjag Nives  
06. Baltang Arg
07. Kwang Bass  
08. D Frozent Aac  

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Review: Aphex Twin – Syro [2014]

Aphex Twin - Syro| Erschienen bei Warp Records (2014) |

Wenn Richard D. James mittels seiner Musik eines am liebsten macht, dann ist es ganz sicher die Angewohnheit mit der Erwartungshaltung seiner Hörer zu spielen. Oder eine bestimmte Erwartungshaltung ähnlich wie Kollege Squarepusher erst gar nicht aufkommen zu lassen, indem man den Überraschungseffekt zum Aushängeschild macht – es kommt eben auf die jeweilige Sichtweise an. James ist ein stilistisches Chamäleon, das in nahezu genialischer Manier seinen eigenen Sound Metamorphosen noch und nöcher vollziehen lässt, geradezu spielerisch unterschiedlichen Strömungen Einlass in seinen Klangkosmos gewährt und gleichzeitig doch unverkennbar die eigenwillige Handschrift erkennen lässt. Unter seinen zahlreichen Pseudonymen widmete sich das unter Wunderkind-Verdacht stehende Schlitzohr schon in Teenagerzeiten nicht nur seinen berühmt gewordenen, traumwandlerisch ruhigen Elektroklängen („Selected Ambient Works 85-92“), sondern machte sich ebenfalls Formen des Industrial-Techno, Acid, Rave und Oldschool Breaks („Classics“) zu eigen; dazu kommen eine ganze Reihe wegweisender IDM-Veröffentlichungen („On“, „Hangable Auto Bulb“, „I Care Because You Do“ uvm.) mit universalem Meilenstein-Status. In den späteren 90ern prägte er maßgeblich die Entwicklung des Drill & Bass-Subgenres („Richard D. James Album“) und landete mit „Come To Daddy“ und „Windowlicker“ sogar zwei subversive Hits, bevor „Drukqs“ im Jahr 2001 als vorübergehendes Ende der Aphex-Ära die Musikgeschichte von vielen Jahrhunderten in einer herausfordernden Doppel-CD zu subsumieren schien. Doch auch danach ist der König der Soundtüftler nicht untätig, bringt unter dem AFX-Alias die „Analord-Serie heraus oder veröffentlicht inkognito als The Tuss exzellenten Braindance.

Die Erwartungen, um darauf noch einmal zurückzukommen, sie waren wohl bei noch keinem Aphex Twin-Album so hoch wie bei „Syro“. Immerhin hat sich James 13 Jahre Zeit für die Fertigstellung gelassen und die Öffentlichkeit weitgehend gescheut, um dann mit aufsehenerregenden PR-Tricks von Warp Records‘ Werbe-Abteilung die Aufmerksamkeit plötzlich wieder auf sich zu lenken. In der Zwischenzeit kokettierte James zu ausgewählten Anlässen damit, genug Material für mehrere Alben angehäuft zu haben, aber schlichtweg nicht in Release-Laune gewesen zu sein. So oder so, die Fallhöhe dürfte nicht geringer geworden sein. Doch all dieses Drumherum, die verblüffenden Marketingaktionen und doppelbödigen Interviews, sind vergessen und unwichtig, sobald der erste Ton von „Syro“ seinen Weg ins Ohr bahnt.

Dabei klingt der Nachfolger des labyrinthischen „Drukqs“ trotz der langen Veröffentlichungspause von Anfang an erstaunlich vertraut. Ein Eindruck, der fortan nicht mehr weichen wird. Diese verknoteten Rhythmen, seltsam entrückten Melodien und schrägen Basslinien – das kann nur ein Aphex Twin-Album sein. Moment mal! …war die unerwartete Komponente, diese Extradosis Wahnsinn, nicht eines der Markenzeichen? Stimmt, doch diesmal hat der gebürtige Ire offenbar keinen Generalangriff auf die allgemeinen Hörgewohnheiten vorgesehen. Stattdessen liefert er eine auffallend zurückhaltende, jedoch blitzsaubere Demonstration seines musikalischen Könnens ab, die weder den Hörer verstört noch großartige Stil-Modifikationen beinhaltet. Hyperaktive Ausbrüche sind eher die Seltenheit auf „Syro“, die Stücke in der Regel weit von Überfrachtung entfernt. Stattdessen scheint James die reduktionistische Schönheit der „Selected Ambient Works“ wieder für sich entdeckt zu haben, die er mit dem melodiös-treibenden AFX-Acid („Chosen Lords“) kombiniert. Das Ergebnis ist ein ausgeglichenes, kohärentes Werk: Ohne Frage verschroben, eigensinnig und weltvergessen, dabei aber so zugänglich wie lange nicht mehr.

Verträumte Synthie-Landschaften laden zum ausgiebigen Erkunden ein, natürlich nicht gänzlich ohne vertrackte Wegführung, Computer-Bleeps und das eine oder andere verrückte Detail am Wegesrand. Die Kompositionen scheinen vordergründig betrachtet nicht unbedingt fokussiert, doch erweist sich das auch gerade als eine Stärke von „Syro“. Aphex Twin arbeitet wie gewohnt nicht mit gewöhnlichen Spannungsbögen. Statt sich in dramaturgische Korsetts zu zwängen, lässt er den Sound fließen und sich entfalten, Altes verschwinden und Neues hinzukommen; ganz offen und grenzenlos. Selbst wenn die Veränderungen manchmal nur unscheinbar und verhalten sind – immer noch bringt er in wenigen Minuten mehr Ideen unter als manche anderen Künstler in einem ganzen Album.

Viele Tracks sind genau genommen nicht neu, sondern vor mehr als fünf Jahren entstanden, wie z.B. „XMAS_EVET10 [120][thanaton3 mix]“, dessen Livemitschnitt man sich als „Unreleased Metz Track“ schon seit geraumer Zeit im Netz anhören konnte. Und es ist der Musik durchaus anzuhören, dass sie größtenteils aus der Mitte der 2000er entstammt, was jedoch nicht negativ ins Gewicht fällt, denn die ausgefeilten Arrangements haben nach wie vor nichts von ihrer Faszination verloren. „4 bit 9d api+e+6 [126.26]“ hätte mit etwas mehr Lo-Fi-Appeal gefühlt auch vor fünfzehn bis zwanzig Jahren erscheinen können, nichtsdestotrotz nimmt man diese wohltuenden Höreindrücke liebend gerne mit. Wo sonst bekommt man schließlich derart leichtfüßige, in einzigartiger Erhabenheit strahlende und dennoch intellektuell bestechende Klangkunst geboten? Eben. „180db_ [130]“, das mit einfachen 4/4-Technobeats startet, wirkt eher wie ein ironischer Abgesang auf die Tanzmusik der 90er, wahrgenommen im Drogenrausch. Irgendwie scheint das Stück immer wieder beinah in sich zu kollabieren, aber degenerierte Rave-Fanfaren und Breakbeats bäumen sich mit letzter Energie dagegen auf. Es folgen ultrakomplexe Geniestreiche wie „CIRCLONT6A [141.98][syrobonkus mix]“, die man besser gar nicht mehr weiter kommentiert… Mit “PAPAT4 [155][pineal mix]” und “s950tx16wasr10 [163.97][earth portal mix]” haut der Chef-Exzentriker in der zweiten Albumhälfte doch tatsächlich noch mal mit handfesten Jungle-Rhythmen auf die Kacke, um die Platte anschließend mit den wundervollen Klavierakkorden von „aisatsana [102]“ leise, melancholisch und ergreifend simpel ausklingen zu lassen.

Manch einer wird das extreme Element oder neue Impulse vermissen. Wie vielerorts richtigerweise angemerkt wird, unterscheidet sich „Syro“ bis auf kleinere Akzentverschiebungen im Grunde wenig von dem, was James in den letzten zwei Dekaden fertiggebracht hat. Doch bevor man Britanniens vielleicht größten zeitgenössischen Musiker Rückwärtsgewandtheit vorwirft, sollte man sich klarmachen, dass die Klangwelt von Aphex Twin nie wirklich in der Gegenwart oder Zukunft verhaftet war, sondern sich trotz vieler Einflüsse seit jeher schon losgelöst von Raum und Zeit konstituierte. Auch beim Zusammenspiel der Melodien, Rhythmen und Geräusche auf „Syro“ hat man immer noch das Gefühl, mehr den Klängen von fernen Alienkolonien zu lauschen als denen einer menschlichen Vergangenheit. „Syro“ mag nicht so monumental ausufern wie „Drukqs“ oder so kompakt und verspielt wie das „Richard D. James Album“ daherkommen. Es ist einfach ein ziemlich gutes Album.

Tracklist:
01. minipops 67 [120.2] 
02. XMAS_EVET10 [120][thanaton3 mix] 
03. produk 29 [101]
04. 4 bit 9d api+e+6 [126.26]
05. 180db_ [130]
06. CIRCLONT6A [141.98][syrobonkus mix]
07. fz pseudotimestretch+e+3 [138.85]
08. CIRCLONT14 [152.97][shrymoming mix]
09. syro u473t8+e [141.98][piezoluminescence mix]
10. PAPAT4 [155][pineal mix]
11. s950tx16wasr10 [163.97][earth portal mix]
12. aisatsana [102]

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Brandneu: Clark – Unfurla

Überraschend clubtauglich präsentiert sich Warp Records‘ Platzhirsch Clark mit seinem neuen Stück „Unfurla, das der Engländer via Soundcloud der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Eingängige, gerade Beats bilden das treibende Skelett, bei der Texturierung dagegen wird erwartungsgemäß ein wenig mehr experimentiert. Tatsächlich gerät der Rhythmus hier eher unscheinbar, während die reichhaltige ‚Peripherie‘ geradezu meisterhaft detailversessen ausgefallen ist und der Fünfeinhalb-Minuten-Nummer ein beachtliches Farbenreichtum verpasst.
Unfurla“ wird auf Clarks selbstbetiteltem neuen Album zu finden sein, dass am 14. November digital und als physischer Tonträger erscheint.

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Kein Witz: Neues Aphex Twin-Album kommt 2014!

Wer in den letzten Tagen aufmerksam die Schlagzeilen der Musikpresse verfolgt hat, wird es höchstwahrscheinlich schon mitbekommen haben: IDM-Legende Aphex Twin veröffentlicht in naher Zukunft ein neues Album! Diverse Online-Magazine haben darüber berichtet.

Dem fulminanten und dank viraler Geheimnisskrämer-Strategie PR-taktisch äußerst geschickten  ‚Comeback‘ von Boards of Canada im letzten Jahr folgend, scheint 2014 der Weckruf für Richard D. James gekommen zu sein. Nach der aufsehenerregenden Crowdfunding-Aktion um ein inoffizielles 1994er Caustic Window-Release vor einigen Monaten, tauchten vor ein paar Tagen unterschiedliche Hinweise in Form von Aphex Twin-Logos in Metropolen wie New York oder London auf, bevor nun endgültig die Katze aus dem Sack gelassen wurde: „Syro“ heißt das neue Werk und hat mittlerweile auch eine offizielle Labelseite – bei Warp Records, kaum zu glauben!

Aphex Twin - Syro[Aphex Twin – „Syro“-Cover via Stereogum]

Wenn aus den bisher veröffentlichten Infos eines sicher scheint, dann ist es die Gewissheit, dass James seinen Wahnsinn eigenwilligen Humor offenbar nicht verloren hat. Man weiß gar nicht, was man schöner finden soll: die Trackliste mit wunderbar leicht über die Lippen gehenden Songtiteln wie 4 bit 9d api+e+6 [126.26]“ und „s950tx16wasr10 [163.97][earth portal mix]“ oder den mit besonderer Akribie hinsichtlich Wortwahl, Satzbau und Faktentreue verfassten Pressetext. Hier mal ein kleiner Vorgeschmack aus selbigem:

„Whenever one of the most celebrated and influential electronic fartist, Richard D. James can compete with the music flip to influence built. The better part of a decagon, James Polygon Window, Caustic Window, GAK and maintain, including `Aphex Twin has unreleased music under several thousand monikers great pace.

Began in the late 1780s and 90s during a turn in its manufacturing and technical skills, and nikharana Cornwallo, England grows, James, as a young maniton in various shops started DJing. Area of various musical score, James Analogue Booblebath EP was released in 1891, the results of the first series, he decided to record his gown music. Another influential London radio station piss FM’s attention, and then label immediately signed him to their rooster, then post & poplieereRS. That same year, James Acid shithouse to promote the song and trying to lift Grant Wilson-CLARIDGE on a biscuit founded his label Rephlex Records. (…)“

[Den ganzen Text und die Trackliste auf der WARP-Homepage lesen]

Äähhh nein, verstehen muss man das nicht unbedingt… einfach herrlich! Man darf sehr, sehr gespannt sein, ob die Musik hält, was ihre ’spektakuläre‘ Promo verspricht. Bereits am 19. September ist es jedenfalls soweit. Schon mal dick in roter Farbe im Kalender anstreichen, bitte!

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Squarepusher und die Maschinen…

Dieser Typ überrascht immer wieder! Es ist ja nicht so, als wäre es das erste Mal, dass Tom Jenkinson mit einer ungewöhnlichen Idee um die Ecke kommt, doch mit diesem Projekt hab ich jetzt wirklich nicht gerechnet: Er hat eine EP gemacht… für Roboter! „Music for Robots“ heißt das fünf Track starke Werk folgerichtig (wie man auf seiner Warp Records-Page nachlesen kann) und erscheint im April.

Bei den Z-MACHINES handelt es sich um Roboter, die von einem japanischen Spezialistenteam speziell dafür konstruiert wurden, um zu musizieren, und zwar auf eine Weise, wie es selbst den größten Virtuosen unter den menschlichen Musikern absolut unmöglich wäre. Squarepusher hingegen gehört zu jenen ‚Auserwählten‘, die der Maschinenband ein paar Songs maßschneidern dürfen. Dass man für ein solches Vorhaben kaum jemand passenderen hätte finden können, zeigt das folgende Video, in dem die Z-MACHINES Jenkinsons Komposition „Sad Robot Goes Funny“ performen.

Der Meister selbst dazu:

“In this project the main question I’ve tried to answer is ‘can these robots play music that is emotionally engaging?’

Natürlich ist Jenkinson längst nicht der Erste, der sich dem Verhältnis von Mensch und Maschine in der Musik zuwendet: Kraftwerk, Daft Punk und nicht zuletzt auch Chris Cunninghams/Aphex Twins „Monkey Drummer“ haben sich der Thematik angenommen und bilden damit nur einige der prominentesten Beispiele. Weniger interessant ist es dadurch aber nicht geworden, seinen unverwechselbaren Stil inklusive der für ihn typischen, passagenweise ultrakomplexen Arrangements in einem ganz neuen Kontext dargeboten zu bekommen. Womit auch erneut bewiesen wäre, dass Squarepusher zu den wenigen Ausnahmen gehört, die sich unaufhörlich in neue Gebiete vorwagen und gleichzeitig eine wiedererkennbare Handschrift prägen, weshalb er für mich nach wie vor zu den herausragenden Komponisten unserer Zeit gehört.

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